Mehrheit der Israelis zweifelt am Erfolg von Geiselbefreiung und Hamas-Zerschlagung


Eine neue Umfrage zeigt, wie tief die Skepsis in Israels Gesellschaft sitzt – trotz ungebrochener Entschlossenheit der Armee

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Während die israelische Armee weiter im Gazastreifen vorrückt, zeigen aktuelle Zahlen, dass viele Israelis nicht mehr an die vollständige Erfüllung der Kriegsziele glauben. Operation „Gideons Streitwagen“, benannt nach dem biblischen Krieger, hat bislang nicht die Hoffnung in der Bevölkerung geweckt, die man sich nach dem Schock des 7. Oktober vielleicht gewünscht hätte. Im Gegenteil: Die emotionale Distanz zwischen dem Ziel und der Erwartung wächst.

Eine neue Umfrage des Israel Democracy Institute (IDI), veröffentlicht am Freitag, bringt diese Ernüchterung mit Zahlen auf den Punkt. Nur 37 Prozent der Israelis glauben noch daran, dass die Geiseln lebend zurückkehren. Gerade einmal 38,5 Prozent sind der Ansicht, die Armee werde Hamas besiegen und deren Herrschaft in Gaza beenden. Ein alarmierender Stimmungswert – gerade für eine Gesellschaft, die sich seit Monaten in einem Krieg der Notwendigkeit wähnt, nicht der Wahl.

Noch deutlicher wird das Misstrauen beim Blick auf die arabisch-israelischen Befragten. Nur 27,5 Prozent von ihnen glauben an eine Rückkehr der Geiseln, 31 Prozent an eine Niederlage der Hamas. Bei jüdischen Israelis liegt der Glaube an diese Ziele immerhin höher – doch selbst dort spricht die Mehrheit von einer nüchternen Einschätzung: 39 Prozent trauen der Armee die Geiselbefreiung zu, 40 Prozent das Ende der Hamas-Herrschaft.

Das größte Gefälle zeigt sich erwartungsgemäß entlang parteipolitischer Linien. Wähler der Religiösen-Zionismus-Partei glauben mit 65 Prozent an die Rückkehr der Geiseln, ebenso viele an einen Sieg über Hamas. Bei den Wählern der oppositionellen Arbeitspartei, heute „Die Demokraten“, sind es gerade einmal 7 Prozent. Selbst in den Reihen von Netanjahus eigener Likud-Partei zeigen sich tiefe Zweifel: Nur 27 Prozent glauben an eine Rückkehr der Geiseln, lediglich 31 Prozent an einen militärischen Erfolg gegen Hamas.

Es ist ein Stimmungsbild voller Kontraste – zwischen Wunsch und Realität, zwischen Loyalität und ernüchterter Analyse. Es zeigt eine Gesellschaft, die kämpft, aber sich auch fragt, ob sie den Preis für einen Sieg bezahlt, den viele nicht mehr kommen sehen.

Geteilte Sicht auf Trump – Hoffnungsträger oder verlorene Wette?

Auch der Blick auf Israels wichtigsten Verbündeten zeigt ein gewandeltes Stimmungsbild. Gefragt nach dem Stellenwert, den US-Präsident Donald Trump Israels Sicherheit beimisst, antworten 47 Prozent, sie sei ihm „in hohem oder sehr hohem Maß“ wichtig. Fast ebenso viele – 46 Prozent – glauben das Gegenteil. Noch im November 2024 hatten 63 Prozent das Vertrauen, Trump werde sich mit voller Überzeugung hinter Israel stellen.

Hat sich etwas an seiner Haltung geändert? Oder haben sich die Erwartungen der Israelis gewandelt? Es ist ein subtiler Bruch im Vertrauensverhältnis, der viel über das wachsende Gefühl politischer Einsamkeit verrät. Selbst die engsten Freunde in Washington scheinen vielen Israelis heute weiter weg als je zuvor.

Humanitäre Hilfe für Gaza – eine Frage des Gewissens oder der Strategie?

Die Frage nach humanitärer Hilfe für Gaza spaltet ebenfalls. 54 Prozent sprechen sich dagegen aus, die Hilfslieferungen zu erhöhen – nur 38 Prozent befürworten mehr Hilfe. Unter arabischen Israelis fordern mehr als drei Viertel eine Aufstockung, während unter jüdischen Israelis nicht einmal ein Drittel diese Meinung teilt.

Auf der linken Seite des politischen Spektrums zeigt sich ein völlig anderes Bild: 75 Prozent der linken jüdischen Israelis sprechen sich für mehr Hilfe aus, im Zentrum sind es 42 Prozent, auf der Rechten nur 17 Prozent. Es ist nicht nur ein Streit um Kisten mit Nahrungsmitteln – es ist ein Spiegelbild der tieferen Debatte über Verantwortung, Menschlichkeit und politische Wirksamkeit.

Knapp die Hälfte der Befragten findet, eine internationale Organisation solle für die Verteilung der Hilfsgüter zuständig sein. Ein Viertel spricht sich für die israelische Armee oder eine staatliche Behörde aus. Nur kleine Gruppen sehen die Verantwortung bei der Palästinensischen Autonomiebehörde (9 Prozent) oder bei privaten Firmen (8 Prozent). Die jüdischen Befragten tendieren klar zu internationaler oder israelischer Kontrolle – arabische Israelis wünschen sich eher palästinensische oder neutrale Akteure.

Flugstreichungen nach Israel: Sicherheitslage oder politische Botschaft?

Auch bei der aktuellen Welle von Flugstreichungen internationaler Airlines zeigt sich ein differenziertes Meinungsbild: Rund 60 Prozent der Befragten – sowohl jüdische als auch arabische Israelis – führen die Absagen auf die objektive Sicherheitslage zurück. Etwas mehr als ein Viertel sieht darin hingegen eine Reaktion auf Israels Vorgehen im Gazastreifen.

Bemerkenswert: Auf der politischen Linken glauben 69 Prozent, dass es an der Sicherheitslage liegt, im Zentrum 62 Prozent, auf der Rechten 58 Prozent. Selbst wer Israels Gaza-Politik kritisiert, sieht offenbar in der konkreten Bedrohung die Ursache – nicht in moralischer Ablehnung.

Israel kämpft nicht nur an der Front – sondern auch um Vertrauen, Glauben und Sinn. Die Umfrageergebnisse offenbaren keine Kapitulation, sondern einen Realismus, der mit dem Überlebenswillen des Landes ringt. Die Bevölkerung steht weiter hinter der Armee, aber sie verlangt Antworten: Wie lange noch? Zu welchem Preis? Und mit welchem Ausgang?

Was bleibt, ist ein wachsendes Gefühl von Isolation. Doch gerade in dieser Lage zeigt sich, was israelische Resilienz ausmacht: Nicht der naive Glaube an einfache Lösungen – sondern das Durchhalten trotz Zweifel. Auch Gideon, der Namensgeber der Operation, trat einst mit wenigen Männern gegen eine übermächtige Armee an. Nicht aus Übermut – sondern aus Prinzip.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: IDF

Artikel veröffentlicht am: Freitag, 6. Juni 2025

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