Wenn Worte töten helfen – wie Genozid-Rhetorik Terror vorbereitet
Antisemitische Gewalt kommt nicht aus dem Nichts. Sie wächst aus Parolen, Bildern und Erzählungen, die längst gesellschaftsfähig geworden sind. Der Terror von Sydney zeigt, wohin jahrelanges Wegsehen führt.

Der Terroranschlag auf eine Chanukka-Feier in Sydney hat viele erschüttert. Fünfzehn Menschen wurden ermordet, weil sie Juden waren, weil sie feierten, weil sie sichtbar jüdisch lebten. Doch so schockierend die Tat war, so wenig überraschend kam sie für Sicherheitsbehörden. Antisemitische Gewalt ist kein spontanes Phänomen. Sie ist das Ergebnis eines Klimas, das über Jahre gewachsen ist.
In westlichen Gesellschaften ist jüdisches Leben heute gleich doppelt bedroht. Einerseits durch klassischen jihadistischen Terror, gespeist aus Ideologien wie dem Islamischen Staat oder aus dem Umfeld iranischer Netzwerke. Andererseits durch ein gesellschaftliches Grundrauschen, das Israel dämonisiert, Juden kollektiv verantwortlich macht und Gewalt sprachlich vorbereitet. Beide Stränge wirken nicht identisch, aber sie verstärken sich.
Besonders gefährlich ist die Normalisierung der sogenannten Genozid-Rhetorik. Wenn Israel öffentlich vorgeworfen wird, einen Völkermord zu begehen, bleibt das nicht folgenlos. Der Begriff trägt eine moralische Wucht, die weit über politische Kritik hinausgeht. Er entmenschlicht, delegitimiert und erzeugt das Gefühl, Gewalt sei nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Wer glaubt, einen Genozid zu stoppen, fühlt sich schnell als moralischer Vollstrecker.
Diese Erzählung wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Sie liefert die Rechtfertigung für jene, die ohnehin nach Gewalt suchen. Terroristische Ideologen müssen kaum noch Überzeugungsarbeit leisten. Sie greifen auf ein Narrativ zurück, das längst auf Demonstrationen, in sozialen Netzwerken und in Teilen der Medien verbreitet ist. Der Schritt von der Parole zur Tat wird dadurch kleiner.
Hinzu kommt der bekannte Nachahmungseffekt. Terror ist immer auch Inszenierung. Jeder Anschlag sendet eine Botschaft an Gleichgesinnte: Es ist möglich. Es ist machbar. Es hat Wirkung. Gerade bei Anschlägen auf jüdische Ziele ist diese Dynamik besonders ausgeprägt, weil sie international Aufmerksamkeit erzeugen und symbolisch aufgeladen sind.
Die Sicherheitslage für jüdische Gemeinden hat sich in den vergangenen zwei Jahren dramatisch verschärft. In Europa wie in Nordamerika richten sich auffällig viele Anschlagsversuche gegen jüdische Einrichtungen, Synagogen, Schulen oder Veranstaltungen. Gleichzeitig hat sich die Form der Radikalisierung verändert. Offene Prediger treten seltener auf, dafür verlagert sich die Ideologie in geschlossene digitale Räume, in Chatgruppen, Foren und soziale Netzwerke.
Staatliche Behörden stehen vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits müssen sie konkrete Anschlagspläne erkennen und verhindern. Andererseits müssen sie begreifen, dass Worte nicht neutral sind. Wer Gewalt sprachlich legitimiert, schafft ein Klima, in dem Terror gedeihen kann. Meinungsfreiheit endet dort, wo sie zur moralischen Vorbereitung von Mord wird.
Der Anschlag von Sydney war kein isolierter Ausbruch des Bösen. Er war das Resultat einer langen Kette aus Verharmlosung, Relativierung und falscher Toleranz. Wer heute ernsthaft jüdisches Leben schützen will, muss bereit sein, diese Zusammenhänge klar zu benennen. Nicht jede Parole ist ein Anschlag. Aber jeder Anschlag beginnt mit einer Parole.
Israel kennt diese Logik seit Jahrzehnten. Der jüdische Staat weiß, dass Worte tödlich werden können, lange bevor der erste Schuss fällt oder das erste Messer gezogen wird. Was heute in der Diaspora geschieht, ist kein fernes Problem. Es ist Teil eines globalen Musters, das Juden überall trifft.
Die entscheidende Frage ist nicht, ob weitere Taten folgen. Sondern, ob Gesellschaften bereit sind, die ideologische Vorarbeit endlich ernst zu nehmen. Wer das nicht tut, darf sich über die nächste Gewalttat nicht wundern.
Autor: David Goldberg
Bild Quelle: By Montecruz Foto - 16.12.2023 - Lantern march for Palestine - Hermannplatz, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=142469686
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 18. Dezember 2025