Ein bewaffneter Gegner der Hamas wirbt für Dialog mit Israel – und wird in Gaza gefeiert
Yasser Abu Shabab fordert einen Waffenstillstand, lehnt Israels Besatzungspolitik ab – und erkennt zugleich Israels Existenzrecht an. Nun wird er selbst zur Zielscheibe der Hamas.

Yasser Abu Shabab, Milizenführer in Gaza und erklärter Gegner der Hamas, spricht von Dialog. Von gegenseitiger Anerkennung. Von einem Ende der Gewalt. Und obwohl er bewaffnet ist, will er nicht Israel angreifen – sondern das Leben in Gaza sichern, vor Korruption, Islamismus und Unterdrückung. Seine Bewegung, die sich selbst „Die Volkskräfte“ nennt, gewinnt rasant an Einfluss – online wie auf der Straße. Und genau das macht ihn nun zur Zielscheibe der Hamas.
„Wir wollen nicht kämpfen – wir wollen leben“
Abu Shabab ist kein idealistischer Theoretiker. Er trägt Waffen, spricht die Sprache der Straße, kennt den Preis des Widerstands. Doch sein Ziel unterscheidet sich grundlegend von dem der Hamas: „Unsere Waffen dienen dem Schutz der Menschen in Gaza – nicht der Eskalation nach außen“, sagt er in einem Interview mit dem israelischen Portal Walla. „Wir glauben an eine Zukunft, in der auch Israelis in Sicherheit leben können, solange sie unsere Rechte respektieren.“
Was wie ein politisches Märchen klingt, trifft bei vielen Gazanern offenbar einen Nerv. Auf seiner Facebook-Seite sammeln sich hunderte Kommentare, die seine Haltung feiern. „Du bist unsere Hoffnung“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer sagt: „Ich würde dich wählen, wenn es freie Wahlen gäbe.“ Viele rufen zum Schutz Abu Shababs auf – nicht aus Angst, sondern aus aufrichtiger Zustimmung. Ein Nutzer geht sogar so weit: „Hamas muss verschwinden – sie haben uns ins Verderben gestürzt.“
Abrechnung mit dem 7. Oktober
Der Bruch mit der Hamas ist nicht nur ideologisch, sondern tief persönlich. Abu Shabab wirft der Terrororganisation vor, mit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 nicht nur Israel, sondern auch das eigene Volk verraten zu haben. „Das war ein katastrophaler Fehler“, sagt er. „Hamas hat uns ins Verderben geführt. Doch dieses Verbrechen rechtfertigt nicht die kollektive Bestrafung unseres Volkes durch Israel.“
Er fordert einen sofortigen Waffenstillstand – aus humanitären, aber auch politischen Gründen. „Wenn die Waffen schweigen, können wir anfangen, unsere Gesellschaft neu zu ordnen. Gaza ist zerstört. Wir brauchen sichere humanitäre Zonen, internationale Hilfe und eine neue moralische Grundlage für unser Leben.“ Er wirbt für eine Gesellschaft, in der Religion nicht zur politischen Waffe wird, in der Gerechtigkeit über Ideologie steht – und in der Palästinenser und Israelis in zwei Staaten nebeneinander leben können.
Bedrohung für die Hamas, Hoffnung für Gaza
Diese Position macht ihn zum Feindbild der Hamas. Das von der Terrorgruppe kontrollierte Innenministerium in Gaza hat bereits einen Haftbefehl wegen „Hochverrats“ gegen ihn ausgestellt. Verbündete Medien drohen offen mit seiner Ermordung. Doch Abu Shabab zeigt sich unbeeindruckt: „Sie sollen es nur versuchen. Wir haben Überraschungen für sie vorbereitet.“ Und er fügt hinzu: „Sie fürchten nicht uns – sie fürchten, dass das Volk uns folgt.“
Die Hamas, so Abu Shabab, habe nicht nur ihren moralischen Kompass verloren, sondern auch ihren Rückhalt in der Bevölkerung. „Sie handeln nicht im Interesse der Palästinenser, sondern als verlängerte Hand des Iran. Unsere Religion ist eine Religion des Friedens – nicht des Blutvergießens.“
Die Volkskräfte, die er führt, seien ausdrücklich unabhängig. Weder von der Hamas noch von der Palästinensischen Autonomiebehörde wolle man sich vereinnahmen lassen. Auch wenn letztere zu Beginn kleinere Unterstützungen geleistet habe, sei man heute völlig eigenständig. „Unser einziges Ziel ist es, die Menschen in Gaza zu schützen – vor Terror, Korruption und Hunger.“
Der Anfang vom Ende der Angst
Noch ist unklar, ob Abu Shabab zur ernsthaften politischen Alternative zur Hamas werden kann. Doch allein die Tatsache, dass er öffentlich für einen neuen Weg eintritt – und dabei bewaffnet bleibt – zeigt, dass sich in Gaza etwas verschiebt. Eine neue Sprache wird möglich, ein neues Denken. Die Angst, offen über Alternativen zur Hamas zu sprechen, beginnt zu bröckeln.
Yasser Abu Shabab ist keine westliche Projektionsfigur. Er ist Teil der Realität in Gaza, mit allen Widersprüchen, Schmerzen und Gefahren. Doch genau deshalb ist seine Botschaft so stark: Nicht weil sie naiv ist, sondern weil sie trotz allem auf Verständigung setzt. Inmitten eines Trümmerfeldes wird sie zu einem leisen Ruf nach Würde – für beide Seiten.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot
Artikel veröffentlicht am: Samstag, 19. Juli 2025