Ein zweites Kalifat im Entstehen? Was die mögliche Schließung des ISIS-Camps in Syrien für Israel und die Welt bedeutet


Wenn das Camp al-Hol fällt, steht der Westen vor einer neuen Generation von Terroristen – und kaum jemand spricht darüber.

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Es gibt Orte auf dieser Welt, die wie eine vergessene Zeitbombe ticken. Orte, die unscheinbar wirken, aber ein unermessliches Risiko bergen. Al-Hol, ein riesiges Gefangenenlager in Nordostsyrien, ist genau so ein Ort. Die meisten Israelis – ja, die meisten Menschen weltweit – haben diesen Namen noch nie gehört. Doch wer ihn kennt, weiß: In diesem Lager liegt die ideologische Glut, die jederzeit wieder zum Flächenbrand des islamistischen Terrors werden kann. Und jetzt droht genau das.

Die Fläche von al-Hol misst fast drei Quadratkilometer. Das klingt nach wenig, bis man versteht, was sich dahinter verbirgt: rund 40.000 Menschen leben hier, fast ausschließlich Frauen und Kinder – Überlebende des sogenannten Islamischen Staates. Genauer gesagt: die Ehefrauen der einstigen ISIS-Kämpfer und deren Kinder. Viele von ihnen wurden mitten im Kalifat geboren – zwischen 2014 und 2017. Heute sind sie neun bis elf Jahre alt. Sie haben keine Schule, keine Lehrer, keine Zukunft. Ihre einzigen Bezugspersonen sind die Mütter – und die sind Überzeugungstäterinnen.

Hier wächst die nächste Generation des Dschihad heran.

Al-Hol ist kein Lager der Läuterung, sondern ein Inkubator des Hasses. Die Kinder dort wachsen auf mit der Überzeugung, dass der Westen der Feind ist, dass Israel vernichtet werden muss, dass jeder „Ungläubige“ seinen Kopf verlieren sollte. Journalisten berichten von Teenagern, die auf Interviews mit erhobenem Zeigefinger und „Allahu Akbar“-Rufen antworten – unabhängig davon, ob der Fragende selbst Muslim ist. Das Lager ist ein Ort, an dem ISIS nicht tot ist, sondern weiterlebt – in den Herzen und Köpfen der nächsten Generation.

Was die Sache noch gefährlicher macht: Die kurdischen Milizen, die al-Hol bislang bewachten, verlieren an Einfluss. Seit sich die USA unter Donald Trump schrittweise aus der Region zurückgezogen haben, trägt die Autonomieverwaltung in Hasakah die Hauptlast – allein. Nun, nach dem Sturz des Assad-Regimes Ende 2024, will die neue syrische Regierung unter Präsident al-Sharaa das Lager übernehmen. Ein fatales Signal.

Denn al-Sharaa ist kein Hoffnungsträger. Seine Machtbasis ist Hay’at Tahrir al-Sham, eine radikal-islamistische Miliz, die einst als al-Nusra-Front bekannt war – ein Ableger von al-Qaida. Ihr Ziel: ein islamisches Emirat auf syrischem Boden, basierend auf der Scharia. Für ihn sind die ISIS-Frauen und -Kinder in al-Hol keine Gefahr, sondern ein Reservoir an künftigen Kämpfern, Polizisten, Soldaten. Er braucht Personal. Und er hat es – in diesem Lager.

Ein beunruhigendes Detail: Die neuen Machthaber in Damaskus wollen syrische ISIS-Mitglieder „reintegrationieren“.

So zumindest formulierte es ein Sprecher des Innenministeriums nach einem Besuch in al-Hol. Gemeint sind rund 12.000 Syrer, die sich dort befinden. Doch was ist mit den anderen? Was passiert mit den 14.000 Irakern, die dort inhaftiert sind? Was mit den mehr als 6.800 Frauen aus rund 60 Ländern? Sie werden nicht in ihre Heimat zurückkehren können – dort drohen ihnen Anklagen oder die Todesstrafe. Ihre einzige Chance liegt darin, vom neuen Regime absorbiert zu werden. Das bedeutet: Bewaffnung, Ausbildung, Einsatz gegen Minderheiten.

Man erinnere sich: Während des syrischen Bürgerkriegs wechselten viele Kämpfer zwischen ISIS und al-Nusra hin und her. Ideologisch trennt sie kaum etwas. In der Praxis steht al-Sharaa vor einem Wiederaufbau seines Landes – und al-Hol liefert das Menschenmaterial dazu. Männer, Frauen, Kinder – eine ganze Generation, die indoktriniert wurde, Hass als göttliches Gebot zu begreifen.

Die Welt darf nicht wegschauen.

Für Israel, für Europa, für die USA ist die Lage alarmierend. Wer glaubt, dass mit dem Ende Assads auch das Ende des syrischen Problems erreicht sei, irrt gewaltig. Assad war ein Diktator, ein Komplize Teherans, ein Verbrecher. Aber Joulani, al-Sharaa, al-Nusra – sie bringen eine andere Art von Tyrannei: die der Ideologie. Und sie bringt neue Opfer: die Alawiten im Nordwesten, die Drusen im Süden, die Christen in Damaskus, die Kurden überall. Und wenn al-Hol fällt, kommen die Täter.

Es ist bezeichnend – und tragisch –, dass ausgerechnet die US-Regierung nun vorschnell Sanktionen gegen Syrien aufhebt. Unter dem Druck von Staaten wie der Türkei und Katar, die beide enge Kontakte zu islamistischen Gruppen pflegen, wird eine Regierung belohnt, die weder demokratisch legitimiert noch moderat ist. Im Gegenteil: Sie bietet dem radikalen Islam eine neue Heimat.

Wenn wir jetzt nicht handeln, riskieren wir eine Neuauflage des Kalifats.

Aber diesmal ohne Grenzen, ohne Lager, ohne Kontrolle. Die Jugendlichen aus al-Hol könnten schon morgen in Berlin, Paris, Tel Aviv oder New York stehen – mit demselben Hass im Herzen, mit denselben Zielen. Wenn wir aus der Vergangenheit nichts gelernt haben, wird sie sich wiederholen. Es liegt an uns, ob wir zusehen oder eingreifen.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Y. Boechat (VOA) - Syria Camp Housing Hardcore IS Families Spiraling "Out of Control", Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=83344188

Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 5. Juni 2025

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