IS ruft zu Gewalt gegen Synagogen und Kirchen auf und trifft damit ein ohnehin verwundbares Europa
Während jüdische Gemeinden weltweit um Sicherheit ringen, nutzt der IS die aufgeheizte Atmosphäre und ruft offen zu Anschlägen in Belgien auf. Die Warnung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem extremistischer Hass wieder zu tödlicher Realität geworden ist.

Die jüngste Drohung des sogenannten Islamischen Staates ist kein fernes Donnergrollen aus einer Region im Chaos. Sie richtet sich ausdrücklich an Europa, und zwar in einer Zeit, in der jüdische und christliche Gemeinden nach einer Serie globaler Gewalttaten ohnehin verunsichert sind. Im wöchentlichen Newsletter Al Naba ruft die Terrororganisation muslimische Flüchtlinge in Belgien dazu auf, Synagogen und Kirchen anzugreifen. Worte, die man nicht als bloße Online Provokation abtun kann, sondern als Versuch, die verwundbarsten Punkte Europas zu treffen.
Der IS spricht in einer Sprache, deren Zynismus kaum zu überbieten ist. Man solle die von »göttlichen Befehlen« geforderte Gewalt ausführen, heißt es, die Häuser des Glaubens seien »vor euch«. Synagogen. Kirchen. Räume, die gesellschaftlich Schutz und Frieden symbolisieren, werden hier bewusst zur Zielscheibe erhoben. Eine Einladung zu Blutvergießen, formuliert mitten in der Feiertagszeit, die in Europa von Nähe, Ritualen und offenen Türen geprägt ist. Eine perfide Logik: Dort angreifen, wo Menschen sich sicher fühlen wollen.
Bemerkenswert ist, dass die Terrororganisation den Anschlag von Sydney nicht für sich reklamiert, obwohl Hinweise auf Verbindungen eines der Attentäter zur Gruppe bestehen. Diese selektive Distanzierung wirkt wie ein strategisches Kalkül: Australien stand nach dem Massaker im Bann entsetzlicher Bilder, die Radikalisierungswellen weltweit anfachten. Nun wird Europa adressiert, mit dem Fokus auf Belgien – ein Land, das in der Vergangenheit schwer getroffen wurde.
Die belgische Behörde für Bedrohungsanalyse betont zwar, es gebe keine konkreten Hinweise auf ein unmittelbar bevorstehendes Attentat. Doch selbst diese beruhigende Erklärung ist von einem vorsichtigen Unterton begleitet. Der Sprecher erinnert daran, dass solche Aufrufe häufig nach großen Anschlägen kommen und selten in konkrete Taten münden. Gleichzeitig ist es außergewöhnlich, dass Belgien namentlich genannt wird. Das Land trägt offene Wunden: die Angriffe auf den Brüsseler Flughafen und die Metro im März 2016 mit 33 Toten und 300 Verletzten, das Massaker im Jüdischen Museum 2014, bei dem vier Menschen ermordet wurden.
Diese Geschichte macht klar, warum solche Drohungen auch ohne konkrete Hinweise ernst genommen werden müssen. Terrorismus lebt von Gelegenheiten, Stimmungen und ermutigten Einzeltätern. In einem Europa, das seit dem 7. Oktober einen dramatischen Anstieg antisemitischer und antiwestlicher Radikalisierung erlebt, findet der IS ein Publikum, das er gezielt mit Feindbildern füttert. Der Aufruf zielt nicht nur auf Gewalt, sondern auf soziale Fragmentierung: auf das Aufbrechen ohnehin fragiler Linien zwischen Minderheiten, Geflüchteten und Mehrheitsgesellschaft.
Die Drohung des IS wirft deshalb eine unbequeme Frage auf: Wie schützt ein liberaler Staat seine demokratischen Räume, wenn Terrororganisationen versuchen, sie zu vergiften? Und wie verhindert Europa, dass dieselbe Dynamik, die in Australien zum schlimmsten antisemitischen Massaker seiner Geschichte führte, sich hier wiederholt?
Die Antwort muss eine entschlossene sein. Nicht nur polizeilich, sondern gesellschaftlich. Synagogen und Kirchen brauchen realen Schutz, aber ebenso eine öffentliche Atmosphäre, die extremistischer Hetze keinen Resonanzraum bietet. Belgien wurde schon einmal zum Symbol dafür, wie verletzlich Europa sein kann. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem die Gesellschaft zeigen muss, dass sie aus ihrer eigenen Geschichte gelernt hat.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Symbolbild KI generiert
Artikel veröffentlicht am: Samstag, 20. Dezember 2025