Wenn Hass zur Statistik wird – und der Staat weiter zögert
Deutschland zählt über tausend antisemitische Straftaten in nur drei Monaten – doch das wahre Problem liegt tiefer als Zahlen je zeigen können

Die nackten Zahlen sprechen eine klare Sprache: 1.047 antisemitische Straftaten in Deutschland – und das allein im ersten Quartal des Jahres 2025. Zwei davon endeten beinahe tödlich. Hätte man sie verhindert? Vermutlich nicht, sagen Sicherheitsbehörden. Aber man hätte früher, klarer und ehrlicher benennen müssen, worum es tatsächlich geht: Judenhass – nicht importiert, sondern tief verwurzelt.
Was in den nüchternen Tabellen des Bundeskriminalamts (BKA) steht, ist in Wahrheit ein brennender Notruf. Ein Hilferuf aus den Straßen Berlins, aus Hinterhöfen in Coburg, aus den Köpfen junger Täter. Ein Ruf, der nicht mehr überhört werden darf. Denn wer heute eine jüdische Synagoge beleidigt, morgen einen Davidstern auf ein Denkmal schmiert und übermorgen auf jemanden einsticht, den er für einen Juden hält, ist nicht bloß ein Einzelfall. Er ist das Symptom einer Gesellschaft, die sich zu lange in Ausflüchten eingerichtet hat.
Zwei Taten, zwei Messer, zwei Abgründe
Im Februar stach in Berlin ein syrischer Asylbewerber einem Touristen ein Messer in den Hals – am Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Der Täter wollte „einen Juden töten“. Der Tourist war Spanier. In Coburg griff ein iranischer Asylbewerber wahllos einen Passanten an, den er für einen Juden hielt. Auch hier: das Messer. Auch hier: die tödliche Absicht. Beide Taten eint nicht nur ihre Brutalität, sondern auch die Vernebelung in der öffentlichen Debatte danach.
In Berlin sprach man bald von psychischen Auffälligkeiten. In Coburg diagnostizierte man eine „schuldunfähige“ Tat wegen Krankheit. Was bleibt, ist ein gefährlicher Reflex: antisemitischer Hass wird bagatellisiert, sobald er sich nicht klar einem „rechten Spektrum“ zuordnen lässt. Und genau das aber ist das Problem: Antisemitismus ist kein exklusives Produkt der Rechten, auch wenn 70 Prozent der Straftaten diesem Milieu zugerechnet werden. Der Judenhass hat längst alle Lager durchdrungen – von linksradikal bis islamistisch, von intellektuell bis verschwörungsideologisch, von bildungsfern bis universitätsnah.
Ein Blick hinter die Kulissen der Statistik
Von den 1.047 registrierten Straftaten im ersten Quartal waren 27 Gewalttaten – ein dramatischer Anstieg im Vergleich zu früheren Jahren. 422 Fälle entfielen auf Volksverhetzung, hinzu kamen Sachbeschädigungen, Bedrohungen, Beleidigungen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn was nicht angezeigt, nicht verfolgt oder nicht erkannt wird, landet nicht in der Statistik. Der wahre Umfang antisemitischer Vorfälle in Deutschland ist nicht erfassbar – aber für Jüdinnen und Juden täglich spürbar.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, bringt es auf den Punkt: Die Zahlen überraschen niemanden in der jüdischen Gemeinschaft. Sie machen lediglich sichtbar, was längst zur täglichen Realität gehört – in Schulen, auf der Straße, im Netz und in der Politik. Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Massakers in Israel, hat sich die Lage spürbar verschärft. Pro-palästinensische Kundgebungen werden regelmäßig zur Bühne für antisemitische Parolen, israelfeindliche Straßentheater normalisieren Hass als Meinung, und die Politik reagiert – bestenfalls halbherzig.
Zwischen Relativierung und Realitätsverweigerung
Wenn Linken-Politikerin Clara Bünger davor warnt, Antisemitismus als „importiertes Problem“ zu betrachten, hat sie in einem Punkt recht: Der Judenhass in Europa ist alt. Er wurde nicht erst mit Flüchtlingen ins Land getragen, sondern war stets da – salonfähig in der deutschen Mitte, akademisch verbrämt im Kulturbetrieb, linksromantisch verklärt im Antizionismus.
Doch wo bleibt die Konsequenz aus dieser Erkenntnis? Wer die Herkunft des Antisemitismus differenziert betrachten will, darf nicht zugleich die Verantwortung scheuen, auch dort zu benennen, wo gefährliche Dynamiken sichtbar sind. Wenn junge Männer aus Syrien oder Iran mit dem Willen nach Deutschland kommen, Juden zu töten – ob aus religiösem Wahn, antisemitischer Ideologie oder beidem –, dann ist das kein „Missverständnis der Aufnahmegesellschaft“, sondern ein sicherheitspolitischer Notfall. Und der verlangt nicht nach Therapiegesprächen, sondern nach entschlossener Reaktion.
Was jetzt passieren muss
Deutschland braucht keine weiteren Mahnwachen. Es braucht endlich den politischen Mut, antisemitische Gewalt nicht mehr ideologisch zu sortieren, sondern als das zu erkennen, was sie ist: ein Angriff auf die freiheitliche Gesellschaft – egal, ob der Täter ein Neonazi oder ein Islamist ist. Es reicht nicht, ein Hakenkreuz zu verurteilen, aber Antizionismus auf linkem Podium zu dulden. Wer „Free Palestine from the river to the sea“ ruft, ruft zur Auslöschung Israels auf – und damit zur Vernichtung jüdischen Lebens. Punkt.
Der Staat muss aufhören, zu beschwichtigen. Er muss jüdisches Leben in Deutschland nicht nur schützen, sondern sichtbar verteidigen. In Schulen, in Medien, auf der Straße. Jede antisemitische Straftat muss geahndet werden – und zwar unabhängig von der politischen Farbe des Täters. Wer Hass auf Juden verharmlost, macht sich mitschuldig. Es ist an der Zeit, das endlich zu sagen. Und zu handeln.
Autor: Redaktion
Artikel veröffentlicht am: Freitag, 8. August 2025