Marokko bewahrt jüdisches Erbe – Algerien löscht es aus
Während Marokko ein neues Zentrum für hebräische Kultur errichtet, lässt Algerien eine Synagoge aus dem 19. Jahrhundert abreißen. Zwei Nachbarländer, zwei Wege im Umgang mit jüdischer Geschichte – und ein Spiegelbild der Zukunft Nordafrikas.

In Demnat, einer alten Stadt am Rande des Hohen Atlas, beginnt Marokko mit der Restaurierung eines jahrhundertealten Gebäudes, um es in ein Zentrum für hebräische Kultur zu verwandeln. Nur wenige hundert Kilometer weiter östlich, in Algier, lässt die algerische Regierung eine Synagoge aus dem 19. Jahrhundert abreißen – offiziell wegen „Baufälligkeit“.
Beide Vorgänge erzählen weit mehr als nur von Architektur. Sie zeigen, wie unterschiedlich zwei muslimische Länder mit ihrer jüdischen Vergangenheit umgehen – und wie eng Erinnerung und Identität miteinander verwoben bleiben.
Das historische Anwesen Dar Moulay Hachem in Demnat, einst Herz einer lebendigen jüdischen Gemeinde, soll künftig ein Ort der Begegnung, Forschung und kulturellen Vermittlung werden. Marokkos Kulturministerium spricht von einem „nationalen Projekt zur Bewahrung jüdischer Erinnerung“. Das Vorhaben steht unter der Schirmherrschaft von König Mohammed VI, der in den vergangenen Jahren mehrfach betont hat, dass das Judentum „Teil der marokkanischen Seele“ sei.
Demnat hatte einst eine große jüdische Bevölkerung. Die Schule der Alliance Israélite Universelle steht bis heute, der jüdische Friedhof wurde kürzlich restauriert – mit staatlicher Unterstützung. Das neue Kulturzentrum entsteht unmittelbar daneben, als sichtbares Symbol dafür, dass jüdische Geschichte in Marokko nicht ausgelöscht, sondern in das nationale Gedächtnis integriert werden soll.
Ein hoher Beamter des Kulturministeriums beschreibt das Projekt als „Teil einer umfassenden Strategie des Königs, jüdische Erinnerung zu bewahren“. Tatsächlich verfolgt Marokko seit Jahren einen konsequenten Kurs: Synagogen werden saniert, Friedhöfe gepflegt, jüdische Museen eröffnet. Das Land erkennt in seiner Verfassung den „hebräischen Bestandteil der nationalen Identität“ ausdrücklich an – eine Formulierung, die im arabischen Raum einzigartig ist.
Ganz anders das Bild im Nachbarland Algerien. Dort wurde vor wenigen Tagen die historische Synagoge von Algier, ein Bau aus dem 19. Jahrhundert, dem Erdboden gleichgemacht. Offiziell hieß es, das Gebäude sei einsturzgefährdet. Doch für viele Beobachter ist der Abriss ein weiterer Ausdruck der anhaltenden Verdrängung jüdischer Geschichte aus dem öffentlichen Raum Algeriens.
Seit dem Abzug fast aller Juden nach der Unabhängigkeit 1962 ist in Algerien kaum ein jüdisches Gotteshaus erhalten geblieben. Viele wurden in Moscheen oder Lagerhallen umgewandelt, andere verfielen still. Der Abriss der Algiersynagoge steht damit symbolisch für eine Politik des Vergessens, die jüdisches Leben nur noch als Schatten der Kolonialzeit wahrnimmt – nicht als Teil der eigenen Geschichte.
In Marokko dagegen ist die Erinnerung zur Staatsräson geworden. Der jüdische Berater des Königs, André Azoulay, hat den kulturellen Dialog zwischen Muslimen und Juden zu einem sichtbaren Bestandteil der marokkanischen Außenpolitik gemacht. Auf Festivals, in Schulprogrammen und in den Medien ist das Thema präsent – nicht als Nostalgie, sondern als Identität.
Dieser Unterschied ist entscheidend. Während Algerien seine jüdischen Wurzeln aus der Geschichte tilgt, begreift Marokko sie als Teil seiner Zukunft. Und es zeigt, dass muslimische Mehrheitsgesellschaften sehr wohl Wege finden können, das jüdische Erbe als Teil ihres kulturellen Selbstverständnisses zu ehren – ohne es politisch zu instrumentalisieren.
In einer Region, in der Antisemitismus vielerorts wieder salonfähig wird, ist Marokkos Haltung eine stille, aber wirkungsvolle Antwort: Erinnerung ist keine Schwäche. Sie ist Stärke – und vielleicht der letzte Beweis dafür, dass Koexistenz mehr ist als ein Wort aus vergangenen Jahrhunderten.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot
Artikel veröffentlicht am: Montag, 27. Oktober 2025