„Dein Sohn gehört in die Gaskammer“ – Proteste in Sydney lassen jüdische Familien erschüttert zurück
Eine Großdemonstration in Australien mit rund 100.000 Teilnehmern hat Angst und Erschütterung unter israelischen und jüdischen Einwohnern ausgelöst. Was als politische Protestaktion begann, wurde für viele zum beängstigenden Wendepunkt im Alltag.

„Sie haben meinem Sohn gesagt, er solle in die Gaskammer.“ Der Satz, den Keren, eine in Sydney lebende Mutter, in einem israelischen TV-Interview äußerte, ist nicht einfach ein persönliches Trauma. Er steht symbolisch für eine tiefere, beklemmende Entwicklung: Dass sich in Australien – einem Land, das für viele Jahrzehnte als sicherer Zufluchtsort für Juden galt – ein Klima ausbreitet, das Menschen mit israelischer oder jüdischer Identität zunehmend bedrängt, beleidigt und einschüchtert.
Auslöser für Kerens Aussage war eine riesige pro-palästinensische Demonstration am vergangenen Sonntag in Sydney, bei der laut Veranstaltern über 100.000 Menschen durch das Stadtzentrum zogen. Offiziell lautete das Motto „Save Gaza“, doch viele der Symbole und Parolen gingen weit über Kritik an Israel hinaus. In sozialen Netzwerken teilten Augenzeugen Fotos von Transparenten mit Hakenkreuzen, Bildern des iranischen Führers Ali Khamenei – und von Taliban-Fahnen. Lautstarke Rufe nach einer Intifada, nach dem „Tod für Tsahal“ – die israelische Armee – hallten durch die Straßen.
Zwischen Wut, Ohnmacht und Rückzugsplänen
Für viele der rund 5.000 Israelis und 120.000 Juden, die derzeit in Australien leben, war dieser Sonntag ein Einschnitt. „Wir haben schon vorher erlebt, dass Antisemitismus zunimmt“, sagt Keren. „Aber das hier war eine neue Dimension.“ Sie lebt seit fast 14 Jahren mit ihrer Familie in Sydney. Als ihr Sohn kürzlich in einem Schulbus von anderen Kindern als Jude beschimpft wurde – mit der Aufforderung, in die Gaskammer zu gehen – griff zunächst niemand ein. Erst nach öffentlichem Druck wurde der Vorfall durch die Bildungsbehörden untersucht.
Viele ihrer Bekannten überlegen inzwischen, das Land zu verlassen. „Wir sind in der Minderheit – 5.000 Israelis, etwa 120.000 Juden – gegenüber mehr als einer Million Muslimen. Und eine Regierung, die offen israelkritisch auftritt“, sagt sie. Einige haben Angst, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, weil Kollegen am Wochenende Parolen gerufen haben, die sie direkt bedrohen. Der Alltag sei vergiftet, so ihr Eindruck – nicht wegen politischer Meinungsverschiedenheiten, sondern wegen der Art, wie sie ausgetragen würden.
Politische Repräsentanten an der Spitze des Protestzugs
Besondere Irritation löste die Teilnahme hochrangiger Politiker an der Demonstration aus. Unter ihnen befanden sich Bob Carr, ehemaliger Außenminister, sowie Stephan Lawrence, ein Abgeordneter der regierenden Labour-Partei von New South Wales. Lawrence wurde ironischerweise gerade mit der Leitung eines parlamentarischen Ausschusses zum Thema Antisemitismus beauftragt. An seiner Seite marschierten Protestierende mit Plakaten von Yahya Sinwar, dem Hamas-Führer im Gazastreifen, der für das Massaker vom 7. Oktober mitverantwortlich gemacht wird.
„Wie kann man von einer Friedensdemo sprechen, wenn genau jene glorifiziert werden, die Massaker und Entführungen verantworten?“, fragt Alon Cassuto, Geschäftsführer der zionistischen Föderation Australiens. „Wer Bilder von Diktatoren hochhält und den Tod jüdischer Soldaten fordert, sucht keinen Frieden – sondern verbreitet Hass.“
Cassuto äußerte sich mit Bedacht. Die jüdische Gemeinschaft, betonte er, sei stolz und tief verwurzelt in Australien – und lasse sich nicht einschüchtern. Aber er sprach auch eine Warnung aus: „Was wir in Sydney gesehen haben, sollte ganz Australien aufrütteln.“
Zwischen Realität und offizieller Deutung
Trotz zahlreicher Berichte über hetzerische Parolen und provokante Symbole sprach die Polizei von einem „friedlichen Verlauf“. Es habe keine Zwischenfälle oder Verletzungen gegeben. Dass ein Demonstrationszug dieser Größenordnung – mit offenen Sympathiebekundungen für autoritäre Regime und Aufrufen zur Gewalt – in einer westlichen Metropole unbehelligt stattfinden konnte, wirft für viele Beobachter Fragen auf. Ist das Ausdruck von Meinungsfreiheit? Oder beginnt hier ein gesellschaftlicher Kontrollverlust gegenüber zunehmend radikalisierten Protestformen?
Ein tieferer Riss in der Gesellschaft
Die Debatte um die Demonstration in Sydney geht weit über Australien hinaus. Sie berührt einen globalen Nerv: Wo verläuft die Grenze zwischen politischer Kritik an Israel – und blankem Hass gegen Juden? Welche Symbole und Worte dürfen als Teil des zivilen Diskurses gelten, welche müssen als Vorboten für eine neue Form des Antisemitismus erkannt werden?
Die Antwort auf diese Fragen bleibt nicht den Behörden, Journalisten oder Politikern überlassen. Sie liegt in der Reaktion der Gesellschaft. In den Klassenzimmern, in den Straßen, in den Gesprächen zwischen Kollegen. Wenn ein Kind im Schulbus hört, dass es „in die Gaskammer“ gehöre – dann ist das nicht nur eine jüdische Erfahrung. Es ist ein Alarmzeichen für alle.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot Instagram
Artikel veröffentlicht am: Montag, 4. August 2025