Molotow, Hass und Verdächtigungen: Was hinter dem Angriff auf die Geiseldemo in Boulder steckt
Ein Mann wirft Brandsätze auf Holocaust-Überlebende – während ägyptische Medien ihn zum Muslimbruder erklären. Doch die Fakten erzählen eine andere Geschichte.

Was am Sonntag auf Pearl Street in Boulder, Colorado, geschah, wirkt wie ein verstörender Albtraum: Ein 45-jähriger Mann wirft Molotowcocktails und feuert mit einer selbstgebauten Flammenwaffe auf eine kleine Gruppe älterer Menschen, die friedlich für die Freilassung von 58 israelischen Geiseln demonstrieren – darunter eine Holocaust-Überlebende. Acht Personen im Alter zwischen 67 und 88 Jahren werden verletzt, eine von ihnen schwebt in Lebensgefahr. Doch kaum ist der Täter verhaftet, beginnt in Ägypten ein ganz anderes Narrativ zu laufen – und lenkt vom eigentlichen Grauen ab.
Die Tat und die Fragen
Der Täter heißt Mohamed Sabry Soliman, ein 45-jähriger Ägypter, der sich illegal in den USA aufhielt. Er war 2022 mit einem Touristenvisum eingereist, das längst abgelaufen war. Eine gescheiterte Asylanfrage aus dem Jahr 2005 und ein nur befristetes Arbeitsvisum lassen darauf schließen, dass sich Soliman lange in einem prekären, rechtlich ungeklärten Zustand in den USA befand.
Er ist nun wegen versuchten Mordes und dem Einsatz von Brandsätzen in fünf Fällen angeklagt. Die Kaution liegt bei 10 Millionen US-Dollar. Die Ermittler behandeln den Angriff als Hassverbrechen eines Einzeltäters. Hinweise auf ein Netzwerk, eine radikale Zelle oder einen politischen Auftrag gibt es bislang nicht. Und doch wird der Fall politisch ausgeschlachtet – in einer Weise, die mehr über die mediale Landschaft in Ägypten als über den Täter verrät.
Ägyptische Medien im Angriffsmodus
Kaum war Solimans Name öffentlich, übernahmen ägyptische Medien die Geschichte – und begannen, sie umzuschreiben. Der „Egypt Telegraph“ nannte ihn einen „Mann aus Mansoura“, der in sozialen Netzwerken Inhalte der verbotenen Muslimbruderschaft geliked habe. Screenshots oder Beweise? Fehlanzeige. Dafür aber umso lautere Talkshows, die vom „Brand des Islamismus“ sprachen, der angeblich nun auch Colorado erreicht habe.
Die staatlich gelenkten Sender und regierungsnahen Kolumnisten greifen den Fall dankbar auf, um vor einem angeblich globalen Terrornetzwerk zu warnen – und insbesondere den Westen zu mahnen, die Muslimbruderschaft weiterhin auf Terrorlisten zu führen. Der Angriff in Boulder, so das wiederkehrende Narrativ, sei ein weiteres Glied in einer langen Kette von Gewalttaten, für die die 2013 in Ägypten verbotene Bewegung verantwortlich gemacht wird.
Zwischen Rufmord und Realität
Das Problem: Nichts davon ist bislang belegt. Weder das FBI noch andere US-Behörden haben Hinweise auf eine Verbindung Solimans zur Muslimbruderschaft veröffentlicht. Auch die angeblichen Likes auf Facebook sind bis heute nicht öffentlich verifiziert worden. Die Anti-Defamation League (ADL) weist zudem darauf hin, dass die Reaktionen im arabischsprachigen Raum sehr unterschiedlich ausfielen: Während einige extremistische Accounts Soliman lobten, behandelten seriöse Medien den Vorfall schlicht als Kriminalfall.
Ein unabhängiger ägyptischer Analyst bringt es auf den Punkt: „Pro-palästinensische Rhetorik ist nichts, was allein auf die Muslimbruderschaft zurückzuführen ist.“ Die Vermischung von Meinungsäußerungen mit organisationaler Zugehörigkeit sei fahrlässig – besonders, wenn keine forensischen Beweise vorliegen.
Die Realität in Boulder
Während die politischen Wellen schlagen, ist die Realität in Colorado schmerzhaft klar. Eine Gruppe älterer Menschen wurde gezielt und brutal angegriffen, weil sie für israelische Geiseln demonstrierte – unter ihnen eine Holocaust-Überlebende. Es war kein Zusammenstoß, kein Zufall, keine Provokation: Es war ein geplanter Angriff. Die Gruppe „Run For Their Lives“, die jeden Sonntag marschiert, kündigte bereits an, nicht aufzugeben. „Terror wird uns nicht zum Schweigen bringen“, hieß es in ihrer Erklärung.
Der politische Missbrauch einer Tragödie
Dass der Täter Ägypter ist, macht den Fall für die Regierung in Kairo zur willkommenen Gelegenheit, den Westen an das vermeintliche globale Risiko der Muslimbruderschaft zu erinnern – ganz unabhängig von der Realität. Dabei lenkt dieses mediale Sperrfeuer von der eigentlichen Frage ab: Was bringt einen Mann dazu, mit Flammen und Hass auf eine Gruppe alter Menschen loszugehen? Was passiert mit Menschen, die jahrelang in einem rechtlichen Niemandsland leben, enttäuscht von beiden Ländern – dem Herkunfts- wie dem Zielland?
Und warum wird die Tat so schnell für politische Zwecke vereinnahmt, anstatt die tieferen Ursachen zu hinterfragen?
Ein Angriff, der mehr als ein Land erschüttert
Solimans Angriff in Boulder war ein Angriff auf die Menschlichkeit – auf Überlebende, auf Demonstrierende, auf die Erinnerung an Geiseln, die weiterhin in Händen von Terroristen sind. Doch wer die Tat nutzt, um seine innenpolitischen Feindbilder zu bedienen, macht sich der Instrumentalisierung schuldig. Der Täter ist kein Symbol – er ist ein mutmaßlicher Verbrecher. Alles andere muss Beweis bleiben, nicht Behauptung.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot X @nicksortor
Artikel veröffentlicht am: Dienstag, 3. Juni 2025