Wie jüdische Studierende in Harvard zwischen Antisemitismus, politischem Kalkül und Missbrauch ihrer Stimme zerrieben werden


Sie verlor ihre Mesusa. Doch was sich wie eine banale Episode anhört, war für die jüdische Studentin Silverman der Beginn einer Erfahrung, die sie noch lange begleiten sollte: Angst, Isolation – und das Gefühl, dass ausgerechnet in ihrem Namen Politik gemacht wird, ohne je mit ihr zu sprechen.

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Silverman ist Biologiestudentin an der Harvard University. Jüdisch, engagiert, reflektiert – und zunehmend frustriert. Nicht nur über den offen gelebten Antisemitismus auf dem Campus. Sondern auch darüber, wie ihre Religion, ihre Identität und ihre Sicherheit politisch instrumentalisiert werden – ohne je ihre Meinung einzuholen. Es ist eine Geschichte über Entfremdung und Vereinnahmung. Und eine Geschichte über das Versagen staatlicher wie universitärer Strukturen.

Die Mesusa, die verschwand – und was sie auslöste

Am ersten Tag ihres Studiums in Harvard, im Herbst 2024, befestigte Silverman wie viele jüdische Menschen eine Mesusa – das kleine Schriftgehäuse mit jüdischen Versen – an ihrem Wohnheimzimmer. Als sie kurz später aus dem Badezimmer zurückkam, war sie verschwunden.

Sie war die Einzige auf ihrem Stockwerk mit einer Mesusa. Niemand hatte etwas gesehen. Sie durchsuchte Mülleimer, sprach mit Mitbewohnern, durchforstete die Flure – vergeblich. Erst Stunden später fand die Campuspolizei das jüdische Symbol auf einer Fensterbank – achtlos abgelegt, zwei Türen weiter. Ein religiöser Gegenstand, der nicht nur verschwunden, sondern mutmaßlich absichtlich entfernt worden war.

Silverman war erschüttert. In einem liberalen Eliteumfeld wie Harvard hatte sie so etwas nicht erwartet. Nicht im Jahr 2024. Nicht in den USA. Von da an begleitete sie die Angst: Wenn sie nachts zur Toilette musste, rief sie ihren Vater an, ließ ihn am Telefon, bis sie wieder sicher im Zimmer war.

Doch ihre größte Enttäuschung sollte nicht von der Universität kommen. Sondern von der Politik – ausgerechnet jener, die angeblich „für jüdische Studenten“ spricht.

In Schutz genommen – aber nicht gefragt

Was Silverman später erfuhr: Ihre Geschichte wurde ohne ihr Wissen in einem Bericht der damaligen US-Regierung unter Präsident Donald Trump aufgegriffen – als Beispiel für den grassierenden Antisemitismus an Eliteuniversitäten. Der Bericht war Teil einer umfassenden politischen Offensive gegen Harvard, bei der mit der Aberkennung der Akkreditierung, dem Entzug von Forschungsgeldern und der Einschränkung internationaler Studentenzugänge gedroht wurde.

Doch niemand hatte mit ihr gesprochen. Niemand hatte gefragt, was sie sich als jüdische Studentin wünschen würde, um sich sicher zu fühlen. Weder Vertreter der Trump-Administration, die mit harter Hand gegen Harvard vorging – noch die spätere Biden-Administration, unter der die tatsächliche Umsetzung geschah.

„Ich habe das Gefühl, dass viele Dinge im Namen der jüdischen Studenten getan werden, aber niemand fragt uns tatsächlich, was wir brauchen“, sagt Silverman. Und weiter: „Man zerstört gerade die Universität – und beruft sich dabei auf uns.“

Forschung gekappt, Zukunft blockiert

Als Biologiestudentin bekam Silverman die Folgen der politischen Vergeltungsmaßnahmen direkt zu spüren. Forschungsgelder wurden gestrichen, Labore konnten keine Sommerpraktikanten mehr einstellen – darunter auch sie. Wissenschaftliche Karrieren jüdischer wie nichtjüdischer Studierender wurden blockiert, weil Politiker beschlossen, Harvard exemplarisch abzustrafen.

Für Silverman ergibt das keinen Sinn. Antisemitismus auf dem Campus zu bekämpfen, sei richtig und notwendig – aber nicht, indem man die Grundlagen des Studiums selbst zerstöre. „Wie soll das bitte gegen Antisemitismus helfen, wenn ich keine Laborstelle mehr bekomme?“, fragt sie.

Zudem trafen viele Maßnahmen auch internationale Studenten aus Israel – also genau jene jungen Menschen, deren Schutz angeblich das Ziel war.

Zwischen Protesten, Schutz und Vereinnahmung

Die Entwendung der Mesusa geschah nur wenige Wochen vor dem Hintergrund einer Eskalation im Nahen Osten: dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Gaza-Krieg. Auch an Harvard kochte die Stimmung über. Es kam zu studentischen Protesten, Zeltlagern und antiisraelischen Parolen.

Silverman wusste vor ihrer Bewerbung, dass es Berichte über Antisemitismus an Harvard gab. Doch sie hatte sich bewusst für die Universität entschieden – wegen der exzellenten Lehre, der starken jüdischen Gemeinschaft und der präsenten Organisationen wie Hillel und Chabad.

Gerade nach dem Mesusa-Vorfall erlebte sie eine Welle der Solidarität: Professoren der Business School brachten selbst Mesusot an, Chabad startete eine Aktion, um mehr dieser religiösen Symbole auf dem Campus sichtbar zu machen. Es war ein stilles Zeichen jüdischen Selbstbewusstseins – ohne Lautstärke, ohne politische Manöver.

Politisches Kalkül statt echter Hilfe

Silvermans Kritik trifft nicht nur rechte Politiker. Auch progressiven Institutionen wirft sie Passivität und Ignoranz vor. Antisemitismus sei lange verharmlost oder gar geleugnet worden – aus Angst, sich „auf die falsche Seite zu stellen“. Nun aber würden rechte Stimmen ihre Angst für eine ganz andere Agenda nutzen: den Abbau von Diversität, Gendergerechtigkeit, offenen Grenzen.

Die Folge: Wer sich tatsächlich um jüdische Sicherheit bemüht, werde nicht gehört. Wer sie politisch ausnutzen will, findet Aufmerksamkeit.

„Es frustriert mich, wenn Leute denken, sie bekämpfen Antisemitismus, indem sie die Universität zerstören. Denn damit zerstören sie auch jüdische Leben an dieser Universität.“

Silverman spricht damit etwas aus, das viele jüdische Studierende empfinden – aber selten so offen sagen: Der politische Missbrauch jüdischer Stimmen durch rechte wie linke Agenden hat eine neue Qualität erreicht. Es geht nicht mehr um Schutz, sondern um Macht. Nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern um Einfluss.

Was jüdische Studierende wirklich brauchen

Silvermans Geschichte ist keine Anklage gegen Sicherheitsmaßnahmen. Sie ist eine Anklage gegen Bevormundung. Jüdische Studierende brauchen keine politischen Helden, die ohne Rücksprache in ihrem Namen agieren. Sie brauchen Räume, in denen sie gehört werden. Sichtbarkeit, ohne als Feigenblatt missbraucht zu werden. Sicherheit, ohne zur Rechtfertigung repressiver Maßnahmen instrumentalisiert zu werden.

Die Frage, wie jüdisches Leben an amerikanischen Universitäten geschützt werden kann, ist komplex. Doch eine Antwort beginnt mit etwas sehr Einfachem: Zuhören.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Kevin Payravi - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=148922229

Artikel veröffentlicht am: Samstag, 2. August 2025

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