Botschaft unter Beschuss: Israels US-Botschafter sorgt mit Tirade gegen Justiz und Linke für Aufsehen
Ein Interview auf PragerU löst in Jerusalem ein Beben aus – das Außenministerium distanziert sich, doch der eigentliche Skandal sitzt tiefer.

Israels Botschafter in Washington, Yechiel Leiter, steht unter massivem Druck – nicht etwa wegen außenpolitischer Spannungen oder diplomatischer Verstöße, sondern wegen eines Interviews, das er auf dem US-amerikanischen Medienkanal PragerU gegeben hat. Was dort ausgesprochen wurde, hätte in der Tonlage ebenso gut aus den Echokammern einer rechtsradikalen Telegramgruppe stammen können – und nicht aus dem Mund eines offiziellen Repräsentanten des Staates Israel in dessen wichtigstem Partnerland.
Das israelische Außenministerium reagierte prompt. Auf Anweisung des Direktors der Disziplinarabteilung des öffentlichen Dienstes wurde Leiter von Generaldirektorin Eden Bar-Tal zum Disziplinargespräch geladen. In einer Zeit, in der Israels internationale Reputation ohnehin auf dem Prüfstand steht, trifft dieser Eklat einen empfindlichen Nerv.
Doch was genau hat Leiter gesagt – und warum sind seine Worte mehr als nur ein innenpolitischer Ausrutscher?
Er bezeichnete Israels linke Opposition als „böse“, die Justiz als System, das „Netanjahu bis zum Äußersten ermüdet“, und ließ sich zu der bemerkenswert antisemitismusrelativierenden Bemerkung hinreißen: „Wenn man den Juden Nummer eins zum Kriegsverbrecher erklärt, dann sind alle Juden Kriegsverbrecher – warum also nicht Antisemit sein?“ Eine Aussage, die nicht nur historisch blind, sondern moralisch verwerflich ist – und in ihrer Logik die antisemitische Täter-Opfer-Umkehr in den Mantel legitimer Empörung kleidet.
Leiters Äußerungen trafen nicht nur das demokratische Fundament Israels, sie untergruben auch das mühsam aufgebaute Vertrauen vieler Diaspora-Juden, die in ihrem Kampf gegen Antisemitismus auf differenzierte und verantwortungsvolle Stimmen aus Israel angewiesen sind. Der Gedanke, dass ein Botschafter Israels ernsthaft die Behauptung aufstellt, Kritik an Netanjahu legitimiere Judenhass, ist erschütternd. Damit wird der Antisemitismus nicht bekämpft, sondern verharmlost – oder schlimmer: für politische Zwecke instrumentalisiert.
Die eigentliche Tragweite von Leiters Aussagen liegt jedoch in dem Weltbild, das sie offenlegen. Es ist das Weltbild einer Regierung und ihrer Unterstützer, die sich zunehmend vom demokratischen Diskurs verabschieden und Kritiker pauschal als Verräter diffamieren. Wer wie Leiter die Korruptionsanklagen gegen Netanjahu als „Sandburgen“ abtut, die nur dem Ziel dienten, ihn zu „zermürben, bis er bricht“, setzt sich über Fakten, Institutionen und Recht hinweg – und über das Prinzip der Gewaltenteilung.
Dass ausgerechnet ein Diplomat in dieser Weise das eigene Rechtssystem angreift, wäre in fast jedem anderen Land ein Rücktrittsgrund. In Israel ist es ein weiteres Kapitel in einem schleichenden Prozess, in dem der Staat sich unter dem Druck ideologischer Loyalität selbst aushöhlt.
Besonders brisant ist auch Leiters Aussage, Israel stehe möglicherweise vor einem Beitritt Syriens und des Libanons zu den Abraham-Abkommen – noch vor Saudi-Arabien. Eine Behauptung, die in der Region ungläubiges Kopfschütteln auslöste. Denn weder Damaskus noch Beirut haben derzeit den geringsten politischen Spielraum für eine Normalisierung mit Israel. Vielmehr sind beide Länder – insbesondere der Libanon – derzeit in offene Feindseligkeit mit Israel verstrickt, und im Falle Syriens bleibt das Assad-Regime ein treuer Satellit des iranischen Unrechtsregimes. Solche Aussagen wirken nicht wie diplomatische Visionen, sondern wie Wunschdenken, das sich von der Realität längst abgekoppelt hat.
Man muss kein Gegner der Regierung sein, um festzustellen: Wenn Israels Vertreter im Ausland anfangen, sich öffentlich mit einer derartigen Radikalität gegen die eigene Demokratie zu wenden, dann steht mehr auf dem Spiel als nur diplomatischer Anstand. Dann ist die politische Kultur selbst in Gefahr. In einer Zeit, in der Israel international um Verständnis und Unterstützung wirbt, darf sich kein Botschafter der Illusion hingeben, er könne im Namen des Staates sprechen, während er dessen Grundwerte demontiert.
Ob Yechiel Leiter nach diesem Eklat im Amt bleibt, wird sich zeigen. Klar ist: Der Schaden ist angerichtet – und das Schweigen oder gar die Zustimmung von Teilen der Regierung könnte schlimmere Folgen haben als das Interview selbst.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By מאיר אליפור (Meir Elipur), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=155814641
Artikel veröffentlicht am: Montag, 26. Mai 2025