Teheran im Schatten der Stille – Leben zwischen Sanktionen, Störsignalen und leiser Auflehnung
Vier Monate nach dem Ende des Zwölftagekriegs herrscht in Iran eine beklemmende Ruhe. Das Regime versucht Stärke zu zeigen, doch in Teheran spürt man das Gegenteil: Müdigkeit, Anpassung – und den stillen Trotz einer Bevölkerung, die ahnt, dass Veränderung unvermeidlich ist.

In Teheran liegt eine merkwürdige Spannung in der Luft. Die Explosionen sind verklungen, die Raketenspur am Himmel verblasst – doch die Unsicherheit ist geblieben. Seit dem kurzen, aber heftigen Krieg mit Israel im Juni versucht das Regime, den Anschein von Normalität zu wahren. Doch wer durch die Straßen der Hauptstadt geht, sieht, dass Normalität längst zur Maskerade geworden ist.
Cafés sind voll, aber Gespräche verstummen, sobald Politik zur Sprache kommt. Junge Frauen tragen ihre Kopftücher locker über die Schultern, während an den Wänden überdimensionale Porträts von Revolutionsführern hängen. Auf den Dächern summen die Störsender, die das GPS lahmlegen sollen – ein Schutz vor möglichen Luftangriffen, der zugleich das Alltagsleben lähmt.
Ein Taxifahrer namens Siavash Naeini, 59 Jahre alt, beschreibt sein Leben mit resigniertem Lächeln: „Ich fahre kaum noch. Die GPS-Störungen zerstören unser Geschäft. Die Fahr-Apps funktionieren nicht, die Leute rufen nicht mehr an.“ Er verkauft, was er kann – Teppiche, Schmuck seiner Frau, alte Möbel – um Medikamente zu bezahlen, die wegen der Sanktionen kaum noch erhältlich sind. „Ich lebe in einem Land, das von außen bestraft und von innen vergessen wird“, sagt er.
Kunst und Zensur – eine Gesellschaft im Wartestand
In einer ehemaligen Möbelhalle am Rand Teherans betreibt der Galerist Houman Dayhimi eine kleine Ausstellung für surrealistische Kunst. Die Eröffnung, ursprünglich für Juni geplant, musste wegen des Krieges verschoben werden. „Es war surreal – Raketen am Himmel, Explosionen in der Ferne, und wir standen zwischen unseren Bildern“, erzählt er. Sein Gebäude war früher eine Fabrik – geschlossen wegen US-Sanktionen. „Alle wissen, dass sich etwas ändern wird. Aber niemand weiß, wann und wie. Das ist das Schlimmste.“
Die iranische Gesellschaft lebt seit Jahrzehnten im Widerspruch: zwischen der Ideologie der Islamischen Republik, der Härte westlicher Sanktionen und dem Wunsch nach einem normalen Leben. In eleganten Restaurants hängen Hinweisschilder, die Frauen zum Tragen des Hijabs auffordern – doch viele ignorieren sie. Das Internet ist zensiert, aber fast jeder nutzt VPNs, um auf TikTok oder Instagram zuzugreifen. Der Schwarzmarkt blüht, während die Landeswährung täglich weiter fällt.
Alte Symbole, neue Bedeutungen
Mitten in Teheran steht das ehemalige Gebäude der US-Botschaft, heute ein „Museum der Spionage“. Über dem Tor prangt noch immer das Schild „Embassy of the United States of America“, doch drinnen hängen Bilder von Totenschädeln, zerstörten Dokumenten und einer verzerrten Freiheitsstatue. Einst ein Pilgerort für Schulklassen und Revolutionsanhänger, kommen heute kaum noch 5.000 Besucher pro Jahr – meist Touristen aus Russland oder China.
Das Museum soll an den Sturm auf die Botschaft von 1979 erinnern, bei dem 52 Amerikaner 444 Tage lang als Geiseln gehalten wurden. Doch es ist längst zu einem Symbol des Stillstands geworden – einer Revolution, die ihr eigenes Erbe nicht mehr trägt.
Der Trotz der Wartenden
Trotz aller Einschränkungen sucht Teheran nach Ventilen. In der Innenstadt hat ein Restaurant den provokativen Namen „Bobby Sands Burger“ – nach dem irischen Freiheitskämpfer, der im Hungerstreik starb. Ein paar Straßen weiter treffen sich Studenten im „Café Godot“, benannt nach Samuel Becketts Drama über das Warten auf einen, der nie kommt.
Der Besitzer, der Theaterregisseur Homayoun Ghanizadeh, sagt: „Wir warten wie Becketts Figuren. Auf Veränderung, auf Freiheit, auf eine Zukunft, die nicht kommt.“ Seine Worte fassen ein Lebensgefühl, das viele in der Stadt teilen: eine Mischung aus Überdruss, Angst und stiller Hoffnung.
Teheran heute ist ein Ort, an dem Menschen überleben, aber kaum noch leben. Zwischen Sanktionen, Überwachung und religiöser Kontrolle wächst die Erkenntnis, dass die alten Parolen nicht mehr tragen. Auf den Straßen, in den Cafés, in den Augen der Taxifahrer liegt der Satz unausgesprochen in der Luft:
Die Zeit der Stagnation läuft ab – und niemand weiß, was danach kommt.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Amir mehnati - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=63239322
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 16. Oktober 2025