Hisbollah greift den libanesischen Staat an und verweigert erneut jede Entwaffnung
Mit scharfen Worten attackiert Hisbollah Chef Naim Qassem die Regierung in Beirut. Auslöser ist der mutmaßliche Abtransport eines früheren libanesischen Offiziers. Doch hinter der Rhetorik steckt mehr als Empörung. Es geht um Macht, Waffen und die bewusste Blockade staatlicher Autorität.

Der Generalsekretär der Hisbollah, Naim Qassem, hat am Sonntag die libanesische Regierung öffentlich angegriffen. Anlass war das mutmaßliche Verschwinden des ehemaligen libanesischen Sicherheitsfunktionärs Ahmad Shukr in der Region Zahle. Qassem warf dem Staat Untätigkeit vor und stellte erneut klar, dass die Hisbollah unter keinen Umständen bereit sei, ihre Waffen abzugeben.
In einer über den Hisbollah nahen Sender Al Mayadeen verbreiteten Rede fragte Qassem demonstrativ, wo der libanesische Staat sei, während ein ehemaliger Offizier offenbar entführt worden sei. Nach Berichten der in London erscheinenden Zeitung Asharq Al Awsat soll Shukr von Israel aus dem Libanon herausgebracht worden sein. Offizielle Bestätigungen dafür existieren nicht.
Shukr gilt seit Jahren als Verdächtiger im Zusammenhang mit dem Verschwinden des israelischen Kampfpiloten Ron Arad, der 1986 über dem Südlibanon abgeschossen wurde und seither als vermisst gilt. Israelische Sicherheitsbehörden lehnten jede Stellungnahme zu den aktuellen Vorwürfen ab. Auch aus Beirut kamen keine klaren Aussagen.
Qassems Rede folgt einem bekannten Muster. Die Hisbollah inszeniert sich als Schutzmacht Libanons und nutzt jede Gelegenheit, um staatliche Institutionen als schwach oder handlungsunfähig darzustellen. Gleichzeitig verweigert sie genau jenen Schritt, der staatliche Souveränität überhaupt erst ermöglichen würde. Die Entwaffnung.
Qassem bezeichnete entsprechende Forderungen erneut als amerikanisch israelisches Projekt. Wer in dieser Situation über Entwaffnung spreche, arbeite den Interessen Israels zu, sagte er. Die Hisbollah habe sich an alle Vereinbarungen im Rahmen der Waffenruhe gehalten, während Israel diese ständig verletze. Beweise legte er dafür nicht vor.
Wie so oft verlagerte Qassem die Verantwortung für Libanons Krise nach außen. Schuld an den Problemen seien die Vereinigten Staaten und Israel. Der libanesische Staat selbst komme in dieser Darstellung kaum vor. Er wird entweder als Opfer oder als unfähig beschrieben, nie jedoch als legitime Autorität.
Diese Rhetorik ist kein Zufall. Sie dient dazu, den Status quo zu zementieren. Ein bewaffneter Akteur außerhalb staatlicher Kontrolle, der gleichzeitig politische Macht ausübt, Medienkanäle betreibt und militärische Entscheidungen trifft.
Die Entwaffnung bleibt der Kernkonflikt
Qassem machte unmissverständlich klar, dass jede Form von Druck wirkungslos bleiben werde. Die Hisbollah werde nicht nachgeben, nicht kapitulieren und ihre Ziele notfalls über Jahre verfolgen. Diese Worte richten sich nicht nur an Israel oder die USA, sondern auch an Beirut.
Für den Libanon ist das eine bittere Realität. Solange eine Miliz stärker ist als der Staat, bleibt jede Diskussion über Reformen, Sicherheit oder Souveränität theoretisch. Die Hisbollah nutzt Vorfälle wie den um Ahmad Shukr, um den Staat öffentlich zu demütigen, während sie selbst jede Verantwortung von sich weist.
Aus israelischer Sicht fügt sich die Rede nahtlos in das bekannte Bild ein. Die Hisbollah präsentiert sich als Widerstand, verweigert Transparenz, instrumentalisiert Einzelfälle und hält an einem bewaffneten Status fest, der den Libanon dauerhaft destabilisiert.
Die Worte Qassems sind daher weniger Empörung als Machtdemonstration. Sie zeigen, dass sich an der Grundkonstellation nichts geändert hat. Die Hisbollah bleibt bewaffnet. Der Staat bleibt schwach. Und der Libanon bleibt gefangen zwischen interner Ohnmacht und externer Instrumentalisierung.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Sebastian Baryli from Wien, Österreich - Naim Kassim, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11539380
Artikel veröffentlicht am: Montag, 29. Dezember 2025