Dreißig Jahre nach dem Attentat auf Jitzchak Rabin – Das Ende einer israelischen Hoffnung
Am 4. November 1995 fiel Israels Premierminister Jitzchak Rabin einem politischen Mord zum Opfer. Drei Jahrzehnte später bleibt sein Tod ein Symbol für die Zerbrechlichkeit des Friedens – und für die unaufgelöste Spaltung der israelischen Gesellschaft.

Es war eine Nacht, die Israel veränderte. Am 4. November 1995, nach einem großen Friedenskonzert auf dem „Platz der Könige Israels“ in Tel Aviv – heute Rabin-Platz – wurde Premierminister Jitzchak Rabin von dem rechtsextremen Juden Jigal Amir erschossen. Der Mörder wollte den Mann töten, der, wie er glaubte, das Land verriet, indem er im Rahmen der Oslo-Verträge bereit war, Teile des in der Sechstagekrieg 1967 eroberten Territoriums an die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) abzugeben.
Rabin war damals 73 Jahre alt. Er hatte eine lange militärische und politische Laufbahn hinter sich, galt als Soldat, Realist und Pragmatiker. Doch sein Weg vom Generalstabschef des Sieges von 1967 zum Friedensnobelpreisträger von 1994 markierte eine Wandlung, die viele Israelis irritierte, andere aber zutiefst bewegte. Rabin war kein Träumer, sondern jemand, der die Grenzen des Krieges kannte und glaubte, Frieden sei nur mit dem Feind möglich – nicht mit Freunden.
Als die letzten Töne des Liedes Shir LaShalom – „Lied für den Frieden“ – erklangen, trat Rabin vom Podium. Minuten später fielen die Schüsse. Zwei Kugeln trafen ihn, eine durchbohrte die Hauptschlagader. Wenig später erlag er im Ichilov-Krankenhaus seinen Verletzungen. Seine letzten Worte, an einen Sicherheitsbeamten gerichtet, lauteten: „Es tut mir im Rücken weh.“
Die Nachricht seines Todes traf Israel mitten ins Herz. Hunderttausende versammelten sich spontan vor dem Krankenhaus, viele Jugendliche weinten lautlos. Das Land, das Rabin zu führen versuchte – zwischen Angst und Hoffnung, zwischen Macht und Moral – stand plötzlich still.
Jigal Amir, ein Jura-Student aus einer religiösen Familie, bekannte sich später kaltblütig zu seiner Tat. Er habe, so sagte er, im Namen des jüdischen Volkes gehandelt. In Wahrheit handelte er im Namen des Fanatismus, der seitdem immer wieder droht, Israels demokratische Substanz zu untergraben.
Der General, der Frieden suchte
Jitzchak Rabin war kein klassischer Idealist. Als ehemaliger Generalstabschef der Armee kannte er die Härte des Krieges und das Gewicht von Entscheidungen, die Leben kosten. Unter seiner Führung gelang Israel im Juni 1967 der militärische Sieg über drei arabische Armeen – ein Erfolg, der das Land territorial stärkte, aber zugleich die Grundlage für Jahrzehnte des Konflikts legte.
Als Premierminister ab 1974 leitete Rabin die Operation „Entebbe“ – das legendäre Kommando zur Befreiung israelischer Geiseln in Uganda –, ein Symbol für Israels Entschlossenheit, seine Bürger überall auf der Welt zu schützen. Doch der Soldat, der damals Stärke demonstrierte, wurde in den 1990er Jahren zum Staatsmann, der die politische Verantwortung der Macht verstand: Dass Sicherheit ohne Frieden keine Zukunft hat.
Die Oslo-Verträge, die 1993 im Weißen Haus unterzeichnet wurden, galten als historischer Wendepunkt. Rabin, Schimon Peres und Jassir Arafat erhielten 1994 den Friedensnobelpreis. Doch der Preis für diesen Versuch war hoch: eine wachsende Polarisierung innerhalb Israels. Rechte Gruppen sahen in Rabin einen Verräter, Linke einen Retter. Die gesellschaftliche Spaltung, die damals sichtbar wurde, prägt Israel bis heute.
Ein Vermächtnis mit Rissen
Dreißig Jahre nach dem Attentat bleibt Rabins Name Synonym für den Versuch, das Unmögliche zu wagen – Frieden im Nahen Osten. Doch ebenso steht er für den Schmerz einer Nation, die bis heute keinen inneren Konsens darüber gefunden hat, wie weit sie für Frieden gehen darf.
Viele junge Israelis kennen Rabin nur noch als historische Figur, nicht als lebendige politische Persönlichkeit. Dabei war sein Mut, die eigene Macht zu begrenzen, ein seltenes Beispiel in der israelischen Geschichte. Sein Satz – „Man macht Frieden mit Feinden, nicht mit Freunden“ – klingt heute fast wie ein ferner Ruf aus einer anderen Zeit.
Das Attentat auf Rabin war kein isoliertes Ereignis, sondern das Ergebnis einer Atmosphäre aus Hass, religiösem Eifer und politischer Hetze. Die Lektion daraus bleibt aktuell: Wenn das eigene Volk den inneren Gegner gefährlicher findet als den äußeren Feind, steht die Demokratie auf dem Spiel.
Rabin wurde auf dem Herzlberg in Jerusalem beigesetzt. Auf seinem Grabstein steht schlicht: Jitzchak Rabin – Soldat, Staatsmann, Friedenssuchender. Diese drei Worte fassen sein Leben zusammen – und das, was Israel seit dreißig Jahren vermisst: einen Führer, der zugleich kämpft und versöhnt.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: Jitzchak Rabin, Bill Clinton und Jassir Arafat im Zuge des Oslo-Friedensprozesses am 13. September 1993 vor dem Weißen Haus in Washington, DCGemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7273344
Artikel veröffentlicht am: Dienstag, 4. November 2025