Zwei Jahre im Dunkeln – wie Yosef Chaim Ohana den Tod überlistete
Er war einer der ersten, die am 7. Oktober entführt wurden – und einer der letzten, die zurückkehrten. Yosef Chaim Ohana überlebte 738 Tage in den Tunneln der Hamas. Jetzt spricht er über Folter, Hunger und die Angst vor dem nächsten Lichtstrahl. Seine Worte sind ein Blick in die Hölle.

Als Yosef Chaim Ohana zum ersten Mal nach seiner Befreiung vor die Kamera trat, zitterte seine Stimme, aber nicht aus Schwäche. Er zitterte, weil das Licht grell war – zu grell nach 738 Tagen in der Dunkelheit. Zwei Jahre, in denen jeder Laut den Tod bedeuten konnte, jeder Lichtkegel den Beginn einer Tortur. In einem exklusiven Gespräch mit dem israelischen Journalisten Amit Segal beschreibt Ohana, wie man im Untergrund des Gazastreifens Mensch bleibt, wenn andere beschlossen haben, dass man keiner mehr sein soll.
„Plötzlich kam ein Mann rein, lud die Waffe durch und drückte sie mir an die Schläfe“, erzählt er. „Er fragte, wie viele Menschen ich getötet habe. Ich sagte ‚null‘. Da schrie er: ‚Du lügst!‘ – und wollte abdrücken. Nur der Ruf eines Scheichs rettete mich. Er hielt seine Hand fest.“ Solche Momente, sagt Ohana, gab es viele. Einige spontan, andere geplant – Teil eines perfiden Spiels der Hamas, das darauf abzielte, Schrecken zu erzeugen, nicht Tod, sondern Furcht.
„Sie setzten uns hin und sagten: ‚Jetzt wählt – wen sollen wir erschießen, wen nur verletzen?‘“ Es war eine Folter, die jedes moralische Gefüge zerstören sollte. Nicht Schmerz, sondern Schuld. Nicht Blut, sondern der Gedanke, über das Leben anderer zu entscheiden.
Ohana beschreibt, wie die Tunnel zunächst nur Enge und Dunkelheit waren – und später zum Synonym für Angst wurden. „Anfangs hofften wir, das Licht einer Taschenlampe bringe uns vielleicht Tee, ein Zeichen von Menschlichkeit. Später nannten wir es nur noch ‚die Lichter kommen‘ – und jeder wusste: Jetzt wird geschlagen.“ Die Terroristen kamen meist nachts, mit Befehlen von oben. „Sie stellten uns an die Wand, zogen uns die Hemden aus, und dann begannen die Schläge – kalt, methodisch, ohne jedes Ziel außer Qual.“
Als er erkannte, dass Überleben mehr als körperliche Stärke erforderte, begann Ohana, mit Logik zu kämpfen. „Ich wusste irgendwann, was ihnen wichtig war – Ehre, Gefangene, Rache. Also sagte ich: Wenn ihr mich tötet, gibt es weniger israelische Häftlinge, die im Austausch frei kommen. Wollt ihr das? Ich wurde zu einem Teil ihres Kalküls.“ Eine gefährliche Strategie – doch sie funktionierte.
Er lernte die Sprache seiner Peiniger, um sie später zu vergessen. „Ich will kein Arabisch mehr sprechen“, sagt er. „Ich will wieder Hebräisch denken, hebräisch leben.“ Sein Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen, beginnt mit der Sprache.
Am 7. Oktober war Ohana mit Freunden bei der Nova-Musikparty in Re’im. Sie flohen vor den Schüssen, erkannten das Grollen der Kalaschnikows, nicht das vertraute M16 der israelischen Armee. Als ein RPG in das Auto neben ihm einschlug, verlor sich jede Spur. Seine Freunde kehrten heim. Er verschwand in den Tiefen Gazas. Zwei Jahre später kam er zurück – abgemagert, verwundet, aber lebendig.
Ohana war gemeinsam mit anderen israelischen Geiseln gefangen – unter ihnen Ohad Ben Ami, Shagiv Calfon, Maxim Harkin, Elkana Buchbot und Bar Kuperstein. Was sie gemeinsam durchmachten, war systematische Erniedrigung. Hunger als Waffe. Schläge als Sprache. Schweigen als Überlebensstrategie. „Es gab Tage, an denen man den eigenen Atem zählen musste, um zu wissen, dass man noch existiert“, sagt er.
Sein Bericht erinnert Israel daran, worum es in diesem Krieg tatsächlich geht. Nicht um Territorien oder Schlagzeilen, sondern um das nackte Menschsein. Um Kinder, Väter, Mütter, die als Faustpfand in den Tunneln gehalten werden. Während westliche Medien über „Verhältnismäßigkeit“ diskutieren, erzählt ein Mann, was Unverhältnismäßigkeit wirklich bedeutet: das Leben in einem Loch, in dem jede Hoffnung verboten ist.
Yosef Chaim Ohana ist zurück in Jerusalem. Seine Augen sind noch müde, aber sein Blick ist klar. Er hat gesehen, was Menschen einander antun können – und was es heißt, nicht aufzugeben. Er überlebte nicht, weil jemand ihn verschonte, sondern weil er beschloss, nicht zu sterben.
Seine Geschichte ist kein Zeugnis von Opfersein, sondern von Würde. Sie erinnert daran, dass Israels Kampf nicht Rache, sondern Rückkehr bedeutet – zurück zum Leben, zurück zum Licht.
Autor: Redaktion
Artikel veröffentlicht am: Dienstag, 28. Oktober 2025