Netanjahu: Wenn Hamas Krieg beendet und Geiseln freilässt, können ihre Führer ausreisen


Netanjahu arbeitet mit Trumps Team an einem 21-Punkte-Plan — doch die heikelste Klausel bleibt: Amnestie für Hamas-Führer. Während Washington drängt, hält Jerusalem Abwägungen zu Sicherheit und Abschreckung aufrecht — und betont die Pflicht, alle Geiseln heimzuholen.

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Die jüngste Äußerung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegenüber Fox News legt die Spannung offen: Israel ist bereit, mit dem Team von Donald Trump an dem sogenannten 21-Punkte-Plan zu arbeiten — doch keineswegs vorbehaltlos. Der Kern des Konflikts liegt nicht in der Suche nach einem Papier, sondern in der Frage, welche politischen Zugeständnisse Israel bereit ist zu machen, um Leben zu retten. Die besonders umstrittene Bestimmung, die Hamas-Führern faktisch Immunität während eines Waffenstillstands sichern könnte, trifft genau in diesen Nerv.

Netanjahu betont mehrfach zwei Dinge: Er glaubt, dass noch Dutzende Geiseln leben, und er sei verpflichtet, sie zurückzuholen — „einschließlich der Gefallenen“, wie er sagt. Gleichzeitig macht er deutlich, dass ein endgültiges Ja zu einem Abkommen von detaillierter Prüfung abhängt. Die Armee und Sicherheitsdienste hätten das Trump-Papier bislang nicht offiziell erhalten, heißt es aus Jerusalem; umgekehrt wurden sie auch nicht gebeten, die sicherheitspolitischen Aspekte umfassend zu prüfen. Das erzeugt Verwerfungen zwischen politischer Initiative und militärischer Expertise.

Warum ist die Amnestieklausel so brisant? Sie würde Hamas-Kader eine Schutzzone verschaffen, die zeitlich begrenzt oder politisch definiert sein mag, faktisch aber das Risiko birgt, die Organisationsführung zu konsolidieren. Aus israelischer Sicht wäre dies nicht nur ein humanitäres Abkommen, sondern ein strategisches Signal: Taten blieben ohne Folgen, Köpfe blieben unangetastet — zumindest während des Waffenstillstands. Sicherheitskreise warnen vor einem solchen Präzedenzfall, weil er die Abschreckung schwächt und Anreize für weitere Entführungen löst.

Netanjahu hingegen verweist auf einen politischen Horizont, der über den akuten Krieg hinausreicht. Er nennt die Abraham-Abkommen als Erfolg, der nicht gefährdet werden dürfe; zugleich sieht er in ihrem Ausbau eine Chance, regionale Verbündete zu mobilisieren und Druck auf den Iran zu erhöhen. Für ihn ist der Sturz der Hamas nicht automatisch das höchste Ziel, wenn damit langfristig isolierende Wirkungen auf die regionale Diplomatie entstehen könnten. Diese Position ist nicht blutleer realpolitisch: Sie versucht, Sicherheit, internationale Beziehungen und die Rückkehr der Geiseln gegeneinander abzuwägen.

Die Lage ist moralisch und politisch vertrackt. Familien der Entführten sehen jeden Aufschub als Verrat; sie fordern konkrete Schritte, schnelle Ergebnisse, keine Verhandlungen, die in bürokratischem Geplänkel ersticken. Netanjahu steht hier unter enormem Druck: Er muss einerseits die Pflicht zur Rückholung erfüllen, andererseits die Sicherheit aller Bürger schützen — und er darf nicht den Eindruck vermitteln, Israel liefere Privilegien an eine Organisation, die Menschen als Verhandlungskapital benutzt.

Praktisch wirft die aktuelle Konstellation mehrere Fragen auf: Wer kontrolliert die Einhaltung einer Waffenruhe, wenn führende Köpfe faktisch Schutz erhalten? Welche Garantien können internationale Akteure liefern, dass Freilassungen nicht zu neuer Aufrüstung führen? Und nicht weniger relevant: Wie lassen sich humanitäre Erleichterungen verbinden mit Maßnahmen, die das Risiko weiterer Terrorakte verringern?

Netanjahus Aussage, dass die IDF das Papier nicht habe und nicht um eine militärische Stellungnahme gebeten worden sei, verdeutlicht eine administrative Schieflage. Entscheidungsprozesse, die sicherheitspolitische Expertise außen vor lassen, unterminieren Vertrauen — sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den eigenen Reihen. Wer über Leben und Tod verhandelt, braucht belastbare Einschätzungen derjenigen, die die Folgen eines Abkommens operativ beurteilen können.

Am Ende zeigt die Debatte ein altes Dilemma: Ist jede Änderung des Kräfteverhältnisses, die Geiseln freibringen kann, gerechtfertigt, auch wenn sie politische Risiken birgt? Oder ist Abschreckung so zentral, dass sie Vorrang vor kurzfristigen humanitären Erfolgen haben muss? Netanjahu wählt bislang eine zwiespältige Antwort: Er kooperiert auf Ebene der Verhandlungsführung, behält sich aber das Recht vor, jeden Punkt einer Risikoabwägung zu unterziehen — vor allem die Frage der Amnestie.

Für Israel bleibt die Zielvorgabe klar formuliert: Keine Ruhe, bis alle zurück sind. Doch die Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, müssen sich an der Realität messen lassen — an Sicherheit, Abschreckung und an der Erwartung derjenigen, die ein Recht auf rasche Rückkehr ihrer Angehörigen haben. In einem politischen Raum, in dem internationale Akteure Druck aufbauen, regionaler Einfluss und strategische Allianzen eine Rolle spielen, ist das Ergebnis offen. Eines aber steht fest: Jede Vereinbarung, die Menschenleben zum Preis politischer Anerkennung aufgibt, wird die Debatte in Israel lange begleiten.

Autor: Redaktion

Artikel veröffentlicht am: Sonntag, 28. September 2025

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