„Fünf Prinzipien – viele Risiken“: Israels Kabinett beschließt Gazaschritt gegen den Rat des Militärs
Zehn Stunden Debatte, ein zerrissener Generalstabschef, politische Machtspiele – und eine Entscheidung, die Israel für Jahre prägen könnte: Das Kabinett beschließt die Vorbereitung zur vollständigen Eroberung von Gaza.

Der Entschluss fiel spät in der Nacht, aber seine Tragweite ist historisch: Das israelische Sicherheitskabinett hat nach zähem, von harten Auseinandersetzungen geprägtem Ringen die Weichen gestellt für die umfassendste Militäraktion seit Jahrzehnten. Der zentrale Bestandteil: Die israelische Armee (ZAHAL) soll sich auf die vollständige Einnahme der Stadt Gaza vorbereiten – gegen den ausdrücklichen Rat ihres höchsten Offiziers. Generalstabschef Eyal Zamir, der in der dramatischen Sitzung warnte, dass ein solcher Schritt die Leben der Geiseln gefährden könnte, wurde überstimmt. Der politische Wille hat sich durchgesetzt – mit allen Konsequenzen.
Die fünf Prinzipien – und was sie wirklich bedeuten
In der offiziellen Verlautbarung aus dem Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu klingt es entschlossen, klar und final:
-
Entwaffnung der Hamas
-
Rückführung aller Geiseln – lebend und tot
-
Entmilitarisierung des Gazastreifens
-
Dauerhafte israelische Sicherheitskontrolle
-
Zivile Verwaltung ohne Hamas oder Palästinensische Autonomiebehörde
Diese fünf Prinzipien sollen laut Kabinett die „Grundlage für das Ende des Krieges“ bilden. Doch hinter diesen Zielen verbirgt sich mehr als eine strategische Agenda – sie offenbaren einen tiefen politischen Riss in Israels Führung und Gesellschaft.
Ein Armeechef warnt – und wird überrollt
Generalstabschef Zamir hatte während der hitzigen Kabinettssitzung keinen Zweifel daran gelassen, was er von der Offensive hält: wenig. Seine Worte waren deutlich. Die Geiseln, sagte er, seien bei einer umfassenden Offensive massiv gefährdet. Humanitär könne man für eine Million Menschen derzeit nicht ausreichend vorsorgen. Die Kräfte der Armee seien ausgelaugt, Gerät und Logistik belastet. Es war ein Weckruf – doch viele Minister wollten ihn nicht hören.
Stattdessen wurde Zamir offen angegriffen. Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir warf ihm vor, zur Presse zu sprechen statt zur Regierung, und belehrte ihn über militärische Gehorsamspflicht. Finanzminister Bezalel Smotrich legte nach: Es gehe nicht um eine temporäre Lösung, sondern um den Sieg. Wer jetzt nachlasse, gebe die Geiseln und den Süden Israels auf. Andere wie Elkin kritisierten den militärischen Alternativplan als unzureichend – „kein Krieg, sondern nur Routine wie in Judäa und Samaria.“
Ein Premier unter Druck – und auf Kurs
Netanjahu ließ sich durch die internen Spannungen nicht beirren. Trotz der deutlichen Warnungen seines obersten Generals hält er an der Linie fest: Gaza muss von Hamas befreit werden, Israel dürfe nicht länger auf Zeit spielen. Unterstützt wird er dabei vor allem von den Hardlinern in seiner Koalition. Ben-Gvir und Smotrich drängen auf ein klares Zeichen der Entschlossenheit – auch um den Preis hoher Verluste.
Offiziell wird betont, dass die Stadt Gaza „entvölkert“ werden soll – Zivilisten sollen in Zeltlager und andere Gebiete evakuiert werden, während ein gezielter militärischer Vorstoß beginnt. Ein massiver Belagerungsring soll Hamas-Kämpfer einschließen, während sich die Armee in die städtischen Räume vorarbeitet. Das ist nicht nur logistisch eine gewaltige Herausforderung – es ist auch politisch ein Wagnis.
Die Opposition warnt vor einem Fiasko
Die Reaktionen der Opposition fielen vernichtend aus. Oppositionsführer Yair Lapid sprach von einem „beschlossenen Desaster“. Eine solche Operation werde Monate dauern, das Leben der Geiseln gefährden, viele Soldaten das Leben kosten und Israel in eine politische wie wirtschaftliche Katastrophe stürzen. Ähnlich äußerte sich Yair Golan, Vorsitzender der Demokratischen Partei: „Ein Desaster für Generationen“, nannte er den Plan, und warf der Regierung vor, aus politischen Überlebensmotiven und „messianischen Visionen“ zu handeln.
Die Angst ist real: Dass Israel sich in Gaza erneut festfährt, dass Hunderte Milliarden an Folgekosten entstehen, dass internationaler Rückhalt schwindet – und vor allem, dass die Geiseln als Bauernopfer geopfert werden könnten.
Was bedeutet das für die kommenden Tage?
Zunächst soll die Armee die Evakuierung der Zivilbevölkerung vorbereiten. Ein konkreter Zeitplan für den militärischen Vorstoß wurde nicht öffentlich gemacht – doch Beobachter gehen davon aus, dass erste Schritte unmittelbar bevorstehen. Parallel dazu wird Israel verstärkt mit internationalem Gegenwind rechnen müssen, sobald erste Bilder aus einer erneut umkämpften Stadt Gaza um die Welt gehen.
Die innenpolitische Spaltung ist tief. Die militärische Führung warnt. Die Opposition protestiert. Und dennoch marschiert Israel weiter – angetrieben vom Willen, Hamas nicht länger gewähren zu lassen. Doch zwischen Prinzipien und Realität liegt ein schmaler Grat. Und auf diesem Grat bewegt sich nun eine ganze Nation – mit offenen Augen, aber auch mit geballter Faust.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: GPO
Artikel veröffentlicht am: Freitag, 8. August 2025