Gas-Deal der Superlative: Israel verkauft für 35 Milliarden Dollar Erdgas an Ägypten
Nie zuvor exportierte Israel so viel Erdgas wie jetzt – doch was als wirtschaftlicher Triumph gefeiert wird, könnte sich als strategisches Eigentor erweisen. Experten warnen: Die Versorgung im eigenen Land steht auf dem Spiel.

Israels größtes Gasfeld „Leviathan“ steht erneut im Fokus internationaler Wirtschafts- und Energiestrategie. Am Donnerstag gaben die Betreiber, darunter die israelische Firma NewMed Energy, den Abschluss eines historischen Exportabkommens mit Ägypten bekannt. Für einen Gegenwert von rund 35 Milliarden US-Dollar soll Israel bis zum Jahr 2040 gewaltige 130 Milliarden Kubikmeter (BCM) Erdgas an das Nachbarland liefern – eine mehr als Verdreifachung der bisherigen Exportmenge.
Auf den ersten Blick ein gigantischer Erfolg: wirtschaftlich, diplomatisch, geopolitisch. Die Unternehmen sprechen von der „größten Exportvereinbarung in der Geschichte des Staates Israel“. Doch unter der glitzernden Oberfläche wächst die Sorge – und zwar im eigenen Land. Denn der Deal könnte einen gefährlichen Preis haben: Die schwindende Energiesicherheit Israels selbst.
Der Jubel über das Geschäft – und die Zahlen dahinter
Der Deal sieht eine stufenweise Umsetzung vor. Bereits ab dem kommenden Jahr soll die erste Tranche – rund 20 Milliarden Kubikmeter – fließen. Die weitaus größere zweite Phase mit etwa 110 Milliarden Kubikmetern tritt in Kraft, sobald der Ausbau des Leviathan-Felds abgeschlossen ist.
Heute liefert Israel jährlich rund 4,7 Milliarden Kubikmeter Gas an Ägypten. Im Rahmen des neuen Abkommens wird diese Menge zuerst auf 6,7 und dann auf etwa 13 Milliarden Kubikmeter jährlich gesteigert – fast das Dreifache. Zum Vergleich: Das bisherige Exportabkommen mit Ägypten von 2018, das noch bis 2030 läuft, hatte einen Gesamtumfang von 60 BCM.
Laut den Betreibern verfügt Leviathan über geschätzte Reserven von rund 600 BCM – genug, so das Versprechen, um sowohl die Exportverpflichtungen zu erfüllen als auch Israels heimischen Bedarf bis ins Jahr 2064 zu decken. Genau an diesem Punkt entzündet sich die Kritik.
Energiepolitisches Harakiri? Kritiker schlagen Alarm
Bereits im Frühjahr schlugen Experten in der Regierung Alarm. Die sogenannte Dayan-Kommission, ein eigens eingesetztes Gremium zur Prüfung der Gasexportstrategie, warnte in ihrem Zwischenbericht vor einer potenziellen Erschöpfung der Reserven innerhalb der nächsten 20 Jahre, sollte die Exportpolitik nicht geändert werden.
Besonders deutlich wurde Yogev Gardos, der scheidende Leiter der Budgetabteilung im israelischen Finanzministerium. In einem vertraulichen Brief, der dem TV-Sender N12 vorliegt, warnte Gardos den Generaldirektor des Energieministeriums eindringlich: „Nach einem Jahrzehnt des Wachstums im Gassektor stehen wir erstmals vor einem strukturellen Mangel an Erdgas für die heimische Nutzung – und das in den kommenden 25 Jahren.“ Gardos warnt: Die aktuelle Exportpolitik gefährdet nicht nur die Reserven, sondern könnte zu einem drastischen Anstieg der Strompreise für Verbraucher führen.
Tatsächlich weist Israels Energiemix eine hohe Abhängigkeit vom Erdgas auf. Derzeit stammen rund 70 % der israelischen Stromproduktion aus Gas – Tendenz steigend. Eine Verknappung der Vorräte hätte damit direkte, spürbare Auswirkungen auf Haushalte und Industrie.
Wirtschaftsinteresse versus nationale Versorgung – ein politischer Spagat
Offiziell betonen alle Seiten, dass die Vereinbarung mit Ägypten nicht zu Lasten des israelischen Marktes gehe. Der Export sei laut Vertrag nur im Rahmen der lokalen Verfügbarkeit erlaubt. Und doch ist der Widerspruch offensichtlich: Der Ausbau des Leviathan-Felds wird nur durch den Export finanziell tragfähig – doch der Export gefährdet wiederum die Verfügbarkeit für den Inlandskonsum.
Der israelische Energieminister Eli Cohen verteidigt den Deal. Es handle sich nicht nur um ein lukratives Geschäft, sondern um ein strategisches Instrument zur regionalen Stabilität. „Leviathan ist nicht nur ein Gasfeld, sondern ein Anker wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Es schafft Vertrauen, öffnet Türen und baut auf gegenseitigen Respekt“, so Cohen.
Auch Itzhak Tshuva, der Mehrheitsaktionär der Delek-Gruppe (Miteigentümerin von Leviathan), lobt den „gemeinsamen Weg mit unseren ägyptischen Partnern“, der ein neues Kapitel der bilateralen Zusammenarbeit eröffne.
Realpolitik auf dem Rücken der Energiesicherheit?
So gut die Worte klingen – sie lösen das Grundproblem nicht: Israel verkauft seine strategische Ressource, bevor das eigene Haus ausreichend gesichert ist. Dass ein Land mit überschaubaren Gasreserven zum drittgrößten Exporteur im östlichen Mittelmeerraum avanciert, mag kurzfristig Prestige bringen. Doch langfristig steht die Frage im Raum: Was, wenn der lokale Markt in eine Krise schlittert – während Millionen Kubikmeter täglich durch Pipelines ins Ausland strömen?
Die geopolitischen Implikationen sind dabei nicht zu unterschätzen. Ägypten wird durch den Deal nicht nur zum Kunden, sondern zunehmend zum Drehkreuz für israelisches Gas in Richtung Europa. Im Idealfall entsteht so eine Energiegemeinschaft mit Stabilitätspotenzial. Im schlimmsten Fall aber riskiert Israel – aus kurzfristigem Profitdenken – seine Unabhängigkeit im Energiesektor.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: By Deror Avi - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=82348576
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 7. August 2025