„Nicht durch Kapitulation – sondern durch Erosion“: Ex-Shin-Bet-Offizieller fordert radikale Neuausrichtung gegen Hamas
Israel braucht keinen Waffenstillstand, sondern einen Strategiewechsel. Ein früherer Shin-Bet-Topmann erklärt, warum nur Isolation, Blockade und psychologische Spaltung Hamas in die Knie zwingen können – und wie genau das gelingen kann.

Der Krieg im Gazastreifen ist längst nicht vorbei, aber er steckt fest. Während westliche Regierungen Israel zunehmend drängen, die militärische Präsenz zurückzufahren, warnt ein erfahrener Mann aus Israels Sicherheitsapparat vor genau dem: Moshe Fuzaylov, ehemaliger hoher Beamter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet und heute Forscher am Misgav-Institut für Nationale Sicherheit, fordert nichts weniger als einen tiefgreifenden Strategiewechsel, weg von Eindämmung und hin zu gezielter strategischer Zermürbung.
Im Gespräch mit der Tageszeitung Maariv erklärt Fuzaylov: „Hamas wird nicht durch Kapitulation besiegt. Ihre vollständige Niederlage erfordert Erosion – eine Trennung von ihrer Basis, von den Menschen, aus denen sie ihre Stärke zieht.“ Diese Analyse steht in krassem Gegensatz zu jenen Stimmen im Westen, die einen „verhandelten Frieden“ fordern – mit einer Organisation, die am 7. Oktober 2023 das schlimmste Massaker an Juden seit der Schoah begangen hat.
Trennung statt Rückzug
Fuzaylovs zentrale These lautet: Hamas ist keine klassische Armee, sondern eine hybride Struktur aus Terror, Ideologie und zivilem Netzwerk. Ihr militärischer Arm sei nicht das, was sie überleben lasse – sondern ihre Fähigkeit, sich als „sozial-religiöse“ Instanz zu präsentieren. „Sie lebt von einer verängstigten Bevölkerung, internationalen Versorgungswegen und der religiösen Aura eines angeblich messianischen Kampfes.“
Genau hier müsse Israel ansetzen. Nicht durch Bodenoffensiven, die mit hoher internationaler Kritik behaftet seien – sondern durch gezielte Isolation und psychologische Spaltung. Drei Maßnahmen seien dafür entscheidend:
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Eine totale Blockade – zu Land, zu Wasser und aus der Luft – des verbleibenden Hamas-Territoriums, aktuell rund 25 % des Gazastreifens. Ziel sei nicht Kollektivstrafe, sondern das systematische Abschneiden der Terroristen von zivilen Ressourcen. Nur so könne ihre Unterstützung im Volk aufgebrochen werden.
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Freiwillige Emigration: Fuzaylov schlägt vor, durch gezielte Anreize und internationale Kooperation eine moderate Auswanderung zu ermöglichen – etwa durch Aufnahmeprogramme in arabischen Staaten gegen westliche Hilfsgelder oder durch geheime Umsiedlungsoperationen mit Mossad-Hilfe. „Selbst begrenzte Migration erzeugt ein psychologisches Momentum: Gaza wird nicht mehr als Festung wahrgenommen, sondern als Raum des Zerfalls.“
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Temporäre Militärposten innerhalb Gazas: Drei Nahal-Außenposten könnten nicht nur militärische Präsenz sichern, sondern ein politisches Signal senden: Israel bleibt – bis Hamas geht. Diese Präsenz wäre kein Besatzungsmodell, sondern ein Druckmittel gegenüber internationalen Vermittlern, gegenüber Ägypten und der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Der ideologische Riss im System Hamas
Was Fuzaylov besonders hervorhebt, ist die religiöse Dimension des Kampfes gegen Hamas. In der islamischen Tradition gebe es, so seine Einschätzung, kein absolutes Gebot zum Kampf, wenn „die Gläubigen geschwächt sind“ (da’f al-mu’minin) und das Wohl der Gemeinschaft (maslahat al-ummah) auf dem Spiel steht. Diese Botschaft – klug formuliert – könne in Gaza als religiöse Erlaubnis zum Kompromiss verstanden werden, nicht als Kapitulation.
Damit skizziert er einen Ansatz, der tief in die Psyche der islamistischen Bewegung zielt: Der Kampf wird nicht frontal, sondern innerlich geführt – über ideologische Risse, über das Auseinanderfallen von Glaube und Strategie, über das Erleben von Isolation, Demoralisierung und Desillusionierung. Hamas soll nicht im klassischen Sinne vernichtet, sondern zur Minderheit innerhalb ihrer eigenen Strukturen reduziert werden – bis sie gezwungen ist, zu verhandeln.
Aus der Schwäche eine Gelegenheit machen
Fuzaylov betont: „Israels vermeintliche Schwäche kann zum strategischen Hebel werden.“ Wenn Jerusalem signalisiert, dass es nicht mehr auf die vollständige Eliminierung von Hamas abzielt, sondern auf deren Marginalisierung, könne dies Washington dazu bewegen, Gaza einem internationalen Konsortium zu übergeben – unter US-Aufsicht, mit arabischer Beteiligung. Israel würde sich damit militärisch zurückziehen, ohne politisch zu kapitulieren. Ziel wäre ein Gaza ohne Hamas: entwaffnet, isoliert, delegitimiert – und bereit zur Freilassung der Geiseln.
Die Dilemma-Logik umkehren
Seit fast zwei Jahren, so Fuzaylov, sei Israel gefangen im moralischen Dilemma: Geiseln retten oder Terror belohnen? Jetzt müsse man die Rollen umkehren: Hamas selbst müsse zwischen Machtverlust und Kompromiss wählen – zwischen „Land und Volk“ oder „Geiseln und Waffen“. Dies sei keine Utopie, sondern eine Strategie aus historischen Vorbildern – von Vietnam bis zur impliziten Lehre im Koran.
Sein Fazit ist klar: „Moderner Sieg bedeutet nicht immer weiße Fahnen. Er bedeutet Zersetzung, psychologische Teilung, die Schaffung einer Minderheit – und dann Kompromiss. Hamas kennt dieses Prinzip. Jetzt muss Israel es anwenden.“
Was Fuzaylov hier formuliert, ist keine technische Militärstrategie. Es ist eine visionäre Kriegsführung, die weit über Waffen hinausgeht. Es ist der Versuch, die Logik des Terrorismus zu brechen, nicht nur seine Infrastruktur. Und es ist eine Botschaft an all jene, die glauben, Israel müsse jetzt innehalten: Vielleicht beginnt der Sieg gerade jetzt – in der Schwäche, nicht in der Stärke.
Autor: Redaktion
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 7. August 2025