Moralisch standhaft: Was Israels wahre Stärke ausmacht
Weder Verniedlichung noch Verdrehung: Warum die Verteidigung gegen Hamas nicht mit moralischer Blindheit bezahlt werden darf

„Wer Holocaustvergleiche zieht, wo sie nicht hingehören, entehrt die Toten.“ Diese Worte stammen sinngemäß vom Vorsitzenden der Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan, und sie markieren einen notwendigen, mutigen Einspruch gegen das, was sich in Teilen der Weltöffentlichkeit derzeit abspielt – eine moralische Entgleisung in Zeitlupe. Dayans Stellungnahme zur Gaza-Debatte ist mehr als ein Appell an die Vernunft. Sie ist ein Ruf zur Selbstbehauptung – nicht nur gegenüber den mörderischen Ideologien der Hamas, sondern auch gegenüber jenen, die Israels Verteidigung mit dem industriellen Völkermord an den Juden vergleichen.
Keine Gnade für Geschichtsfälscher – aber auch kein Absehen vom Leid
Dayan stellt unmissverständlich klar: Israels Krieg in Gaza ist kein Genozid. Weder völkerrechtlich, noch historisch, noch moralisch trägt das Etikett „Vernichtungskrieg“ irgendeine Substanz. Und doch kommt seine Botschaft nicht aus einer Kälte der Rechtfertigung, sondern aus einem zutiefst jüdischen Ethos. Er verneint nicht das Leid in Gaza. Im Gegenteil: Er erkennt die menschlichen Tragödien an – die Verletzten, die Vertriebenen, die Unschuldigen. Nur macht er eines deutlich: Mitleid darf nicht mit moralischer Selbstaufgabe verwechselt werden.
Israels Feinde – und leider auch viele selbsternannte Verteidiger – verdrehen die Maßstäbe. Die einen bezeichnen IDF-Soldaten als Nazis, die anderen antworten reflexhaft, der 7. Oktober sei „ein zweiter Holocaust“. Beides ist falsch, beides ist gefährlich. Es pervertiert Erinnerung zu Propaganda. Der Holocaust war einzigartig: die systematische, ideologisch begründete Auslöschung eines ganzen Volkes durch einen hochmodernen Staat. Wer diese Singularität für politische Zwecke opfert, egal auf welcher Seite, beschädigt nicht nur Israels moralisches Fundament – er macht Geschichte zur Waffe.
Israels Kraft: Nicht nur in der Armee, sondern in der Ethik
Was aber ist dann Israels Weg? Es ist nicht der Zynismus des „Kollateralschadens“. Es ist nicht die moralische Abhärtung, mit der man sich bequem einrichtet in der Rolle des Belagerten. Dayan spricht von einem Gleichgewicht, das schwer zu halten ist – und doch gerade deshalb umso kostbarer ist. Die Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen und dabei das Leben des Gegners nicht zu entwerten. Die Fähigkeit, dem Terror mit Entschlossenheit zu begegnen, ohne die eigenen Maßstäbe aufzugeben.
Er erinnert an das jüdische Prinzip von „Tohar HaNeshek“, der Reinheit der Waffen – ein Konzept, das mehr als jede Armeeordnung bedeutet. Es ist ein moralischer Imperativ: Waffen dienen nicht der Rache, sondern dem Schutz. Kein anderes Volk der Welt hat sich diese Kategorie in sein Selbstverständnis geschrieben. Das ist keine Schwäche, das ist die tiefste Form von Stärke.
Zwischen Hamas-Barbarei und westlicher Heuchelei
Man muss es aussprechen: Die internationale Debatte über Gaza ist durchzogen von Doppelmoral. Während Israel sich selbst bei schwersten urbanen Kämpfen zu Zurückhaltung verpflichtet – oft unter hohen eigenen Risiken – werden seine Soldaten von westlichen Kommentatoren mit Kriegsverbrechern gleichgesetzt. Dieselben Stimmen, die beim syrischen Bürgerkrieg oder bei russischen Gräueltaten in der Ukraine viel stiller waren, überschlagen sich plötzlich in moralischer Entrüstung.
Diese Heuchelei wäre nur zynisch, wenn sie nicht auch gefährlich wäre. Denn sie entkoppelt legitime Kritik von jeder faktischen Grundlage. Was bleibt, ist ein Bilderkrieg, in dem Opferzahlen und Schlagwörter zur Währung werden. Genozid. Ethnische Säuberung. Apartheid. Solche Begriffe sind keine Analyse, sie sind Anklage – ohne Prozess, ohne Beweis, ohne Differenzierung.
Die wahre Prüfung: Menschlich bleiben, wenn alles dagegen spricht
Dani Dayan fordert nichts Unmögliches. Er fordert, dass Israel sich treu bleibt. Dass es die Barbarei der Hamas nicht mit der eigenen Verrohung beantwortet. Dass es um jeden Preis vermeidet, das zu werden, was seine Feinde ihm andichten wollen. Er verlangt keine moralische Perfektion. Aber er verlangt die Bereitschaft, sich an das zu erinnern, wofür Israel gegründet wurde – als Zufluchtsort für ein verfolgtes Volk, nicht als Staat, der sich der Logik des Terrors beugt.
Dieser Anspruch ist unbequem. Er verlangt, auf Rache zu verzichten, selbst wenn sie emotional verständlich wäre. Er verlangt, in den Trümmern Gazas nicht nur Tunnel und Waffen zu sehen, sondern auch das menschliche Drama derer, die in einem doppelten Albtraum gefangen sind – dem islamistischen Terror und dem Krieg, den dieser provoziert hat.
Aber genau darin liegt Israels moralisches Kapital. Und es ist nicht nur ein ethischer Luxus. Es ist auch strategisch klug. Denn die Welt wird Israel nicht nach seinen Feinden beurteilen, sondern nach seinem Umgang mit ihnen.
Das Vermächtnis Israels entscheidet sich nicht nur auf dem Schlachtfeld
Wenn dieser Krieg endet – und er wird enden – wird die Welt zurückblicken und fragen: Hat Israel nur überlebt, oder hat es auch seine Werte bewahrt? Hat es sich nur militärisch behauptet, oder auch als Gesellschaft? Dani Dayans Antwort darauf ist klar: Der eigentliche Sieg besteht darin, nicht wie Hamas zu werden, auch wenn man gegen Hamas kämpft.
Das ist schwer. Das ist unbequem. Aber es ist notwendig. Denn Israels Stärke misst sich nicht allein in Raketenabwehrsystemen und Geheimdiensteinsätzen. Sie misst sich in der Fähigkeit, auch im Angesicht des Bösen Mensch zu bleiben.
Autor: Bernd Geiger
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 31. Juli 2025