Smotrich will Gazastreifen annektieren – Knesset-Konferenz ruft zur Rücksiedlung auf


Mitten im Krieg wird in Jerusalem ein Zukunftsplan für Gaza entworfen – mit Häfen, Flughäfen und jüdischen Städten. Minister Smotrich spricht offen von Annexion, religiöse Aktivistinnen nennen es eine „göttliche Mission“. Kritiker warnen vor Kriegsverbrechen.

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Während im Gazastreifen noch immer Kämpfe toben, wurde in der israelischen Knesset ein Konferenzsaal zum Ort eines politischen Tabubruchs: Unter dem Titel „Die Riviera in Gaza – von der Vision zur Realität“ diskutierten Minister, Abgeordnete und Vertreter nationalreligiöser Siedlerbewegungen offen über eine dauerhafte Rückkehr Israels in das umkämpfte Küstengebiet. Organisiert wurde die Veranstaltung von zwei Mitgliedern der Partei „Religiöser Zionismus“, Zvi Sukkot und Limor Son Har-Melech, in Zusammenarbeit mit der Siedlungsorganisation Nachala.

Die zentrale Botschaft: Israel soll den Gazastreifen dauerhaft kontrollieren, neu besiedeln und vollständig unter seine Souveränität stellen. Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte vor den Teilnehmern, dass Generalstabschef Eyal Zamir ihm persönlich bestätigt habe, Israel müsse „den Norden des Gazastreifens aus Sicherheitsgründen annektieren“. Diese Behauptung ist bislang unbestätigt – das Militär selbst äußerte sich nicht dazu.

Smotrich sprach von einer „realistischen und optimistischen Vision“: eine wohlhabende Küstenstadt mit jüdischen Siedlungen, Industrieparks, Häfen, Universitäten und touristischen Anlagen. Wörtlich sagte er: „Das ist die Art, wie Frieden gemacht wird.“ Und weiter: „Gaza zu erobern und zu besiedeln – als integralen Teil des Staates Israel – ist möglich und notwendig.“

Die Aussagen stießen auf scharfe Kritik: Gilad Kariv, Abgeordneter der demokratischen Opposition, nannte Smotrichs Aufruf eine „klare Aufforderung zu Kriegsverbrechen“ und warnte vor massiven Folgen: „Diese Worte gefährden unsere Soldaten, schwächen Israels internationale Stellung und untergraben unsere Demokratie.“

Die politische Radikalisierung in der Mitte der Macht

Dass eine solche Konferenz im Parlament stattfindet – und mit offiziellen Regierungsmitgliedern besetzt ist – zeigt, wie weit die Normalisierung nationalistischer Maximalforderungen bereits vorangeschritten ist. Neben Smotrich traten auch Yitzhak Wasserlauf (Minister für nationale Resilienz, Otzma Yehudit), Michal Woldiger (RZP) und Zvika Fogel (Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsausschusses der Knesset) auf.

Wasserlauf forderte eine sofortige Rücksiedlung als Antwort auf das Massaker vom 7. Oktober. Er sagte: „Wir verließen Gaza – und bekamen Terror in unseren Wohnzimmern. Jetzt ist es Zeit zurückzukehren. Siedlung ist Sicherheit.“ Woldiger ergänzte: „Wo nicht gesiedelt wird, gibt es keine Verteidigung.“

Daniela Weiss, Vorsitzende der Nachala-Bewegung, sprach gar vom Ende der „arabischen Geschichte in Gaza“ und verkündete: „Siedlung kann noch heute beginnen.“ Für sie ist der Gazastreifen nicht Teil eines Konflikts, sondern ein göttlich versprochener Landstreifen, der „erlöst“ werden müsse. Solche Aussagen untergraben nicht nur jede politische Lösungsperspektive, sie verharmlosen auch das Leid der Zivilbevölkerung und ignorieren die Realität von Hunderttausenden Vertriebenen.

Emotionalisierung und Symbolpolitik

Besonders aufgeladen war der Auftritt von Idan Baruch, Bruder des ermordeten Geisels Uriel Baruch. Er kündigte an, in Gedenken an seinen Bruder eine neue Siedlung namens „Neot Uri’el“ errichten zu wollen. „Für jeden Geisel eine Nachbarschaft, für jeden gefallenen Soldaten eine Straße“, sagte Baruch. Auch Yossi Dagan, Vorsitzender des Samaria-Regionalrats, meldete sich per Video zu Wort und forderte: „Zurück nach Gusch Katif – weil es uns gehört.“

Diese Rhetorik verwandelt Trauer und Wut in territorialen Anspruch. Doch der Preis dafür ist hoch: Strategische Isolation, moralische Selbstverblendung und die Aushöhlung internationaler Rechtsprinzipien drohen, wenn Annexion und Rücksiedlung zum offiziellen Regierungsnarrativ werden.

Kein Mandat, keine Mehrheit – aber eine Bühne

Obwohl Smotrichs Vorschläge nicht Teil offizieller Kabinettsbeschlüsse sind und auch nicht in der aktuellen Kriegsstrategie verankert wurden, tragen sie durch ihre öffentliche Inszenierung zur Radikalisierung der politischen Debatte bei. Israels Regierung schweigt bislang weitgehend zu der Konferenz – ein fatales Signal angesichts der Tragweite der dort geäußerten Pläne.

Israel steht vor einer historischen Weggabelung: Entweder das Land verteidigt seine demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze – oder es verliert sie im Sog ideologischer Fantasien. Wer Gaza „wie Tel Aviv“ bebauen will, ohne Frieden, ohne Sicherheit und ohne Rücksicht auf Millionen palästinensischer Zivilisten, handelt nicht visionär, sondern verantwortungslos.

Die Konferenz vom Dienstag zeigt: Teile der Regierung träumen nicht von Versöhnung, sondern von Expansion. Und sie sind bereit, den Preis dafür zahlen zu lassen – von Soldaten, von Diplomaten, und nicht zuletzt von der israelischen Gesellschaft selbst.

Autor: Redaktion

Artikel veröffentlicht am: Dienstag, 22. Juli 2025

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