Schein-Frieden in A-Suwaida: Warum in Südsyrien weiter gekämpft wird, obwohl Damaskus das Gegenteil behauptet


Das Regime ruft zur Ruhe auf, doch die Realität spricht eine andere Sprache: Drusen und Beduinen liefern sich brutale Gefechte, während Präsident Julani Israel und den Westen verantwortlich macht.

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Es war als ein Schritt zur Deeskalation gedacht – doch kaum war die Feuerpause verkündet, flammte die Gewalt wieder auf. In der syrischen Provinz A-Suwaida, dem Herzen des drusischen Siedlungsgebiets im Süden des Landes, wird weiter gekämpft. Augenzeugen berichten von einem blutigen Alltag, in dem weder offizielle Erklärungen noch Waffenruhen etwas verändern. Die Eskalation zwischen drusischen Milizen und sunnitisch-beduinischen Stämmen hält an, während Präsident Ahmad al-Julani versucht, sich als Friedensstifter zu inszenieren.

Eine Feuerpause, die niemand spürt

Am Samstagmorgen hatte Präsident Julani öffentlich das Ende der Kämpfe in A-Suwaida verkündet. In einer Fernsehansprache sprach er von einem „gefährlichen Wendepunkt“ für Syrien, lobte die Rolle des Staates bei der Wiederherstellung der Ordnung und machte erwartungsgemäß Israel für die Eskalation verantwortlich. Doch nur wenige Stunden später dokumentierten Videos im Netz das Gegenteil: bewaffnete Auseinandersetzungen, Entführungen, Misshandlungen, Angriffe auf religiöse Symbole.

In einem besonders verstörenden Video ist ein gefesselter Druse zu sehen, dem ein Beduine eine Waffe an den Kopf hält. Der Mann wird gezwungen, den Namen von Präsident Julani zu lobpreisen – ein Akt der Demütigung, der tiefe Gräben aufreißt. Weitere Aufnahmen zeigen, wie beduinische Gruppen drusische Symbole und Porträts religiöser Führer zerstören. Das Regime schweigt dazu – oder bezichtigt Israel, das Chaos gesät zu haben.

"Wir stehen im Krieg – nicht in einer Waffenruhe"

„Die Lage ist außer Kontrolle“, sagt Suhail, ein Druse aus A-Suwaida, im Gespräch mit N12. „Die Regierung will uns eine Ruhe vorspielen, die es nicht gibt. Auf der Straße herrscht Krieg.“ Viele in der Region glauben, dass die Gewalt nicht einfach Ausdruck eines alten Stammesskonflikts ist, sondern gezielt geschürt wird – durch externe Akteure wie die Türkei, Katar und die Muslimbruderschaft, die das drusische Selbstverwaltungsmodell unterminieren wollen.

Laut Suhail sind es vor allem Überreste von al-Julanis loyalistischen Milizen, die gezielt Spannung erzeugen. Ihr Ziel: die Kontrolle über A-Suwaida – strategisch wichtig, um Südsyrien, den Daraa-Korridor und die Grenze zu Jordanien unter Kontrolle zu behalten. In diesem Szenario ist Frieden nicht erwünscht, sondern ein Hindernis.

Wer hat hier wirklich die Kontrolle?

Die Drusen – religiös und ethnisch eigenständig – hatten sich in den letzten Jahren weitgehend aus dem syrischen Bürgerkrieg herausgehalten. Ihre Loyalität galt keinem der großen Kriegsparteien, ihre Hoffnung lag auf Autonomie. Mit dem Fall des Assad-Regimes im Dezember 2024 schien sich dieser Traum zu erfüllen. Doch Ahmad al-Julani, einst Terrorfürst im Nordwesten, inzwischen Präsident eines „neuen Syriens“, erkennt diese Autonomie nicht an.

Er will Stärke demonstrieren, politische Einheit schaffen – und widersetzt sich damit den Tatsachen vor Ort. In A-Suwaida regieren lokale Komitees, nicht Damaskus. Diese wollen ihre Unabhängigkeit behalten – was Julani als „Anarchie“ verurteilt. Die Eskalation mit den Beduinen kommt ihm gelegen: Sie destabilisiert die Region und bietet Vorwand für Interventionen. Das erinnert stark an alte Assad-Strategien – nur unter neuem Namen.

Komplexe Waffenruhe mit vielen Fallstricken

Trotz der fortgesetzten Kämpfe unterzeichneten Vertreter beider Seiten ein detailliertes Waffenstillstandsabkommen. Es sieht u. a. die Einrichtung sicherer Korridore, die Rückkehr der Vertriebenen und den Rückzug bewaffneter Gruppen vor. Doch die Umsetzung stockt. Zu tief ist das Misstrauen, zu stark der Drang zur Rache. Die Beduinen erklärten am Samstagvormittag ihre Bereitschaft zur vollständigen Einstellung aller Kampfhandlungen. Doch parallel tauchten Videos von neuen Zusammenstößen auf. Die Kontrolle über lokale Milizen scheint keiner Seite wirklich zu obliegen.

Das drusische Oberhaupt rief zur Deeskalation auf – doch er betonte zugleich: Sollte der Waffenstillstand einseitig gebrochen werden, trügen die Verantwortlichen die volle Schuld für den Zusammenbruch der Vereinbarung. In einem Klima, in dem jede Provokation zu einem Flächenbrand führen kann, ist das kaum mehr als ein frommer Wunsch.

Julani zeigt mit dem Finger – aber verschweigt die Realität

Wie schon zu Zeiten von Bashar al-Assad wird Israel als außenpolitischer Sündenbock instrumentalisiert. Julani sprach von „brutalen Angriffen auf den Süden und die Institutionen in Damaskus“ und warnte vor einer gefährlichen Eskalation, ausgelöst durch israelische Einmischung. Belege dafür liefert er keine – aber der außenpolitische Spin kommt gut bei seinen verbliebenen Unterstützern an.

Die Wirklichkeit aber ist eine andere: Es ist die Abwesenheit effektiver Regierung, die den Süden Syriens in Gewalt stürzt. Es ist die Furcht vor islamistischen Strukturen, vor Stammesrache, vor einem neuen Bürgerkrieg im Schatten eines ohnehin gescheiterten Staatsprojekts.

Ein fragiler Friede – getragen von Angst

Die Ereignisse in A-Suwaida sind ein Menetekel für den Rest Syriens. Ein Frieden auf dem Papier, getragen von gegenseitigem Misstrauen, ist kein Frieden. Die zentrale Regierung will Kontrolle, doch sie hat keine Mittel. Die Drusen wollen Sicherheit, doch sie trauen weder Damaskus noch den sunnitischen Stämmen. Und die Region steht am Rande eines neuen Flächenbrands – einer, der diesmal nicht mehr entlang ideologischer Linien verläuft, sondern entlang ethnischer, religiöser und tribalistischer Trennung.

Die internationale Gemeinschaft schweigt – zu beschäftigt mit dem Iran, mit Gaza, mit der Ukraine. Doch wer glaubt, dass Syrien nach Assad zur Ruhe kommt, wird nun eines Besseren belehrt: Der Bürgerkrieg ist nicht vorbei. Er hat nur sein Gesicht gewechselt.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: Symbolbild

Artikel veröffentlicht am: Samstag, 19. Juli 2025

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