Zwischen Friedensvision und Koalitionsdruck: Netanjahu vor Abflug nach Washington unter Zugzwang


Premierminister Benjamin Netanjahu will in Washington über Friedensinitiativen und die Freilassung der Geiseln sprechen – doch der Flug verzögerte sich wegen innenpolitischer Forderungen der ultraorthodoxen Parteien. Der Streit um das Wehrpflichtgesetz spitzt sich erneut zu.

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Premierminister Benjamin Netanjahu ist am Sonntagabend mit Verspätung zu seiner Reise nach Washington aufgebrochen – nicht etwa wegen logistischer oder diplomatischer Gründe, sondern aufgrund innenpolitischer Spannungen. Insbesondere der Druck der ultraorthodoxen Koalitionspartner, die vor dem Abflug eine konkrete Fortschreibung des Wehrdienstbefreiungsgesetzes verlangten, führte zur Verzögerung. Während das Büro des Premierministers offiziell von einer verlängerten Sicherheitsberatung sprach, war hinter den Kulissen klar: Die politische Balance der Regierung steht erneut auf dem Spiel.

Bei seiner Abreise äußerte sich Netanjahu gegenüber Journalisten mit Blick auf die politischen und militärischen Herausforderungen: „Ich werde mit führenden Vertretern der US-Regierung und des Kongresses aus beiden Parteien zusammentreffen. Ich werde Präsident Trump für seine entschlossene Unterstützung für Israel danken – die uns zu einem historischen Sieg über unseren Feind Iran verholfen hat.“ Er fügte hinzu: „Die Hamas wurde vorbereitet – das verpflichtet uns, aber es eröffnet auch neue Chancen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Erfolg zu bewahren. Gleichzeitig bietet sich nun die Gelegenheit, den Friedenskreis im Nahen Osten auszuweiten. Wir haben die Region bereits grundlegend verändert. Jetzt können wir eine bessere Zukunft für das Volk Israel und den gesamten Nahen Osten schaffen.“

Gaza bleibt im Fokus

Trotz des diplomatischen Schwerpunkts betonte Netanjahu, dass die militärische Lage im Gazastreifen nach wie vor oberste Priorität habe. Es gebe zwar bedeutende Erfolge, aber auch noch offene Aufgaben: „Wir haben 20 Geiseln am Leben, 30 wurden getötet. Ich bin entschlossen, alle lebend zurückzubringen. Gaza darf keine Bedrohung mehr für Israel darstellen. Wir werden keine Situation dulden, in der Entführungen und Morde Anreize bieten – das bedeutet: Die militärischen Fähigkeiten der Hamas müssen vollständig zerstört werden. Hamas wird dort nicht mehr existieren.“

Die Ziele der israelischen Regierung seien klar umrissen: Rückführung aller Geiseln, vollständige Zerschlagung der Hamas in Gaza und langfristige Neutralisierung der Bedrohung durch den Gazastreifen. Netanjahu betonte, dass diese Ziele nur durch mutige Entscheidungen und mit der Entschlossenheit der israelischen Streitkräfte zu erreichen seien.

Koalitionsstreit überschattet Außenpolitik

Doch die innenpolitische Realität machte deutlich, wie fragil die Koalition in Jerusalem ist. Die Abreise verzögerte sich nicht zufällig. Die ultraorthodoxen Parteien, namentlich Schas und Vereinigtes Tora-Judentum, machten klar: Ohne Fortschritt beim Wehrdienstgesetz gibt es keine bedingungslose Unterstützung mehr. Das Gesetz soll es ermöglichen, ultraorthodoxe Männer vom Wehrdienst zu befreien – ein hoch umstrittenes Thema, das regelmäßig zu innenpolitischen Krisen führt.

Yuli Edelstein, Vorsitzender des Auswärtigen- und Sicherheitsausschusses der Knesset, präsentierte dem ultraorthodoxen Verhandlungsführer Ariel Attias einen ersten Entwurf – jedoch keinen endgültigen Gesetzestext. Dennoch reichte dies aus, um eine vorübergehende Beruhigung herbeizuführen und Netanjahus Abreise zu ermöglichen.

Doch der Druck bleibt bestehen: Die ultraorthodoxen Fraktionen drohen offen mit einem erneuten Stimmungsboykott im Parlament, sollte nicht binnen Tagen ein konkreter Gesetzestext zur Abstimmung vorgelegt werden. Das betrifft auch die Ernennung von Meir Porushs Nachfolger Yisrael Eichler zum Wohnungsbauminister, die verschoben werden könnte – ein Konflikt, der auch innerhalb der ultraorthodoxen Lager selbst für Spannungen sorgt.

Frustration unter Reservisten wächst

Gleichzeitig wächst der Unmut bei Wehrdienstleistenden und Reservisten. Sie kritisieren, dass über Ausnahmeregelungen für Ultraorthodoxe gesprochen wird, während sie selbst wiederholt in den Einsatz geschickt werden – viele bereits zum dritten, vierten oder fünften Mal seit Oktober 2023. In einem offenen Brief an Ausschusschef Edelstein heißt es: „Wir stehen an einem Wendepunkt. Die Knesset muss entscheiden, ob sie die Reihen stärken oder der dienenden Bevölkerung den Rücken kehren will.“

Auch Ex-Premier Naftali Bennett schaltete sich ein: „Während die Soldaten und Reservisten zum wiederholten Male nach Gaza geschickt werden, versucht die Regierung ein Gesetz durchzubringen, das Ultraorthodoxe vom Wehrdienst befreit. Es ist inakzeptabel, dass über solche Entscheidungen nicht mit der IDF gesprochen wird, sondern mit parteiinternen Interessenvertretern. Dieses Gesetz darf nicht passieren – es lässt Soldaten, Reservisten und deren Familien im Stich. Die Allianz der Dienenden wird sich durchsetzen.“

Der Washington-Besuch selbst ist bislang von Zurückhaltung geprägt. Eine gemeinsame Pressekonferenz mit Donald Trump ist derzeit nicht geplant. Lediglich ein gemeinsames Abendessen steht offiziell auf dem Programm. Ob es zu konkreten Fortschritten bei einer neuen Friedensinitiative oder zur Geiselrückführung kommt, bleibt offen.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot

Artikel veröffentlicht am: Montag, 7. Juli 2025

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