Israels Schlag gegen Irans Atomprogramm: Wurde Natanz wirklich getroffen?
Erst Triumph, dann Zweifel: Israel meldete die Zerstörung von Irans Herzstück der Urananreicherung – doch die IAEA widerspricht. Was steckt hinter dem widersprüchlichen Kriegsnarrativ um Natanz?

Israel hatte es eilig, der Welt einen Erfolg zu präsentieren. Nach einem massiven Luftangriff auf die iranische Atomanlage Natanz am vergangenen Freitag verkündete das israelische Militär, es habe nicht nur die oberirdischen Gebäude, sondern auch das unterirdische Zentrifugenareal vollständig zerstört – eine militärische und strategische Botschaft an Teheran und die Welt. Doch vier Tage später wirkt der anfängliche Triumph brüchig. Denn sowohl Satellitenbilder als auch Einschätzungen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) widersprechen der ersten Darstellung deutlich. Und jetzt rudert sogar die IDF zurück.
Ein hochrangiger israelischer Offizier räumte am Dienstag ein, dass die Zerstörung des unterirdischen Bereichs von Natanz „nicht sicher“ sei. Gemeint sind damit die tief verbunkerten Zentrifugenhallen – jene Maschinen, die Uran auf 60 Prozent anreichern und damit ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Atombombe sind. Dass ausgerechnet dieser Teil des iranischen Atomprogramms möglicherweise überlebt hat, sorgt für offene Fragen, Spannungen – und Spekulationen.
Warum die Zentrifugen in Natanz so wichtig sind
Natanz ist das Zentrum der iranischen Urananreicherung. In der unterirdischen Anlage laufen fortschrittliche Zentrifugen in geschützter Tiefe – gegen Sabotage und Angriffe mit herkömmlichen Bomben nahezu immun. Diese Zentrifugen reichern Uran an, das als Grundlage für eine mögliche Atomwaffe dient. Zwar betont Israel, dass auch ohne deren Zerstörung bedeutende Labore und militärische Einrichtungen getroffen wurden – aber faktisch bleibt der unterirdische Komplex das Herzstück des iranischen Atomprogramms.
Gerade deshalb hatte die israelische Armee den Angriff als historischen Erfolg dargestellt. Man habe sowohl die oberirdischen als auch die unterirdischen Bestandteile ausgeschaltet, hieß es. Doch wie sich nun zeigt, war diese Aussage zumindest voreilig. Während Satellitenbilder laut dem Institut für Wissenschaft und internationale Sicherheit die Zerstörung der oberirdischen Gebäude belegen, ist über das Schicksal der verborgenen Zentrifugen wenig bekannt – und Israel scheint keine eindeutigen Beweise für deren Vernichtung liefern zu können.
Grossi widerspricht – aber lässt ein Hintertürchen offen
Der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, legte am Montag eine detaillierte Einschätzung vor – mit einem klaren Tenor: Die Zentrifugenhallen seien nicht physisch getroffen worden. Zwar sei die Stromversorgung durch die Zerstörung oberirdischer Infrastruktur zusammengebrochen, und es gebe chemische wie radiologische Kontamination innerhalb der Anlage. Doch einen direkten Treffer auf die unterirdischen Anreicherungsanlagen könne man nicht bestätigen.
Grossi formuliert seine Bewertung jedoch nicht als endgültig. Später erklärte er in einem BBC-Interview, es sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ davon auszugehen, dass die plötzliche Unterbrechung der Stromversorgung die empfindlichen Zentrifugen beschädigt oder sogar zerstört haben könnte. Das klingt weniger nach einer definitiven Feststellung als nach diplomatischer Vorsicht – und lässt Raum für Interpretationen.
Was bedeutet das für Israel – und für Iran?
Wenn Israel mit dem Angriff tatsächlich nicht das gesamte Zentrifugenprogramm vernichtet hat, wäre dies ein strategischer Rückschlag – oder zumindest ein unvollständiger Erfolg. Die Botschaft an Teheran, dass selbst tief verbunkerte Anlagen nicht sicher sind, bleibt bestehen. Doch der Symbolwert leidet, wenn der zentrale Bestandteil des Atomprogramms am Ende doch noch funktioniert.
Gleichzeitig versucht die IDF, den Fokus zu verschieben. Ein Offizier erklärte am Dienstag, dass nicht die Zentrifugen das eigentliche Problem seien, sondern die Infrastruktur, mit der angereichertes Uran in eine Waffe verwandelt werden könne. Genau diese Einrichtungen habe man gezielt zerstört. Das ist militärisch nachvollziehbar – aber politisch ist das Zentrifugen-Narrativ weitaus wirkmächtiger.
Für Teheran wiederum könnte es ein psychologischer Sieg sein, wenn das Herzstück seiner Anreicherung trotz israelischen Angriffs überlebt hat. Die IAEA spricht bereits von chemischer und radiologischer Kontamination innerhalb der Anlage, warnt aber vor einer Gesundheitsgefährdung nur bei direktem Kontakt mit Stoffen wie Uranhexafluorid. Nach außen signalisiert der Iran bisher Gelassenheit – doch wie groß der tatsächliche Schaden ist, bleibt unklar.
Der Krieg um Deutungshoheit
Der Schlagabtausch zwischen der IDF und der IAEA ist mehr als ein Streit um Fakten. Es geht um Deutungshoheit, um das Narrativ dieses Angriffs. Israel wollte Entschlossenheit zeigen, Handlungsfähigkeit gegen das iranische Atomprogramm demonstrieren. Doch die internationalen Kontrollinstanzen rücken das Bild zurecht – mit Präzision, aber auch mit Zurückhaltung.
Und letztlich bleibt offen, wie groß der operative Erfolg wirklich war. Solange keine unabhängige Inspektion der unterirdischen Anlage möglich ist, bleibt vieles Spekulation. Vielleicht wurde ein Großteil der Zentrifugen durch Stromausfall unbrauchbar gemacht. Vielleicht laufen sie in Kürze wieder. Oder sie waren nie beschädigt. Die Wahrheit liegt verborgen – tief unter dem Wüstensand von Natanz.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Hamed Saber - https://www.flickr.com/photos/hamed/237790717, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2817131
Artikel veröffentlicht am: Dienstag, 17. Juni 2025