"Ihr bringt uns in den Abgrund" – Libanons Regierung warnt die Hisbollah vor Alleingängen
Erstmals stellt sich der Libanon offen gegen die militärischen Eskapaden der Hisbollah. Während Israels Angriff auf iranisches Territorium in der arabischen Welt für Empörung sorgt, ziehen sich alte Gewissheiten zurück – selbst unter den engsten Verbündeten des iranischen Regimes.

Die libanesische Regierung hat der Hisbollah deutlich gemacht, dass der Staat nicht länger bereit ist, sich von der schiitischen Miliz in einen Krieg ziehen zu lassen. Nach dem mutmaßlich israelischen Angriff auf iranisches Gebiet in der Nacht zum Freitag hat Beirut seinem langjährigen Schattenherrscher klargemacht: Wer jetzt die Zündschnur an das Pulverfass legt, trägt auch die Verantwortung für die Explosion. Die Botschaft an die Hisbollah ist unmissverständlich: „Das Zeitalter, in dem ihr Kriege erklärt, ist vorbei.“
Diese Warnung kommt nicht von einer westlichen Regierung, nicht aus Israel, sondern aus dem Herzen des zerbrechlichen libanesischen Staates selbst. In einem Land, das seit Jahren unter der faktischen Kontrolle der vom Iran gesteuerten Hisbollah leidet, bedeutet diese Aussage einen politischen Erdrutsch. Sie zeigt, wie tief die Angst vor einem regionalen Flächenbrand sitzt – und wie brüchig die Loyalitäten geworden sind.
Denn der Angriff auf Ziele in Iran – über dessen genauen Verlauf und Urheberschaft noch wenig bekannt ist, aber allgemein Israel zugeschrieben wird – hat Schockwellen ausgelöst. Doch während die arabischen Regierungen wie in einem Chor Israels Vorgehen verurteilen, ist der Ton unterschiedlich scharf, und entscheidend ist: Viele dieser Reaktionen wirken formelhaft, nicht mehr bedingungslos solidarisch mit Teheran. Und sie zeigen: Das iranische Regime verliert an Rückhalt – selbst bei jenen, die lange auf seine Linie eingeschworen waren.
In Jordanien beispielsweise war die Reaktion militärisch – aber nicht gegen Israel, sondern gegen Drohnen und Raketen, die über iranischem Gebiet gestartet und über Jordanien hinweggeflogen sein sollen. Die Armee erklärte, man habe erfolgreich abgefangen. Die Bürger wurden angewiesen, in den Häusern zu bleiben. Der Himmel über Amman wurde gesperrt. Die Regierung handelt – nicht aus Solidarität mit dem Iran, sondern aus Sorge um die eigene Sicherheit.
Und was sagt die Hisbollah selbst? Der hochrangige Funktionär der Organisation erklärte, man werde „nicht initiativ“ gegen Israel vorgehen. Es ist ein Rückzug auf Zeit – aber auch ein Hinweis darauf, dass der Schutzschirm des Iran bröckelt. Die Hisbollah, die sonst keine Gelegenheit auslässt, militärisch zu provozieren, beschränkt sich auf Rhetorik. Der Angriff sei eine „gefährliche Eskalation“, Israel habe „alle roten Linien überschritten“ – doch die Waffe bleibt (noch) in der Scheide.
In Teherans engstem Freundeskreis hingegen ist der Reflex klar: scharfe Verurteilungen. Die Regierungen in Ägypten, Saudi-Arabien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Sultanat Oman werfen Israel einseitige Aggression, Völkerrechtsbruch und Eskalation vor. Aber ihre Worte sind diplomatisch kalkuliert – keine Töne bedingungsloser Unterstützung für den Iran, keine Drohungen gegen Israel.
Am deutlichsten wird das im Fall Omans. Das Land, traditionell als Vermittler zwischen Washington und Teheran tätig, war das erste, das den Angriff öffentlich verurteilte – in auffallend scharfem Ton. Außenminister Al-Busaidi sprach von einem „illegalen, ungerechtfertigten Angriff“, der eine „ernste Bedrohung für die regionale Stabilität“ darstelle. Doch auch hier: kein Aufruf zur Revanche, kein Schulterschluss mit der iranischen Vergeltungsrhetorik.
In Kairo warnt Präsident al-Sisi vor einem „direkten Angriff auf die Sicherheit der Region“. Die Worte sind hart – aber sie spiegeln mehr die Angst vor dem Flächenbrand als echte Empörung. Die Vereinigten Arabischen Emirate mahnen zur „maximalen Zurückhaltung“. Und in Katar sieht man den Angriff als „eklatante Verletzung der Souveränität Irans“ – aber vermeidet es, von einem Kriegsgrund zu sprechen.
Der subtextuelle Tenor: Niemand will, dass dieser Konflikt eskaliert. Niemand will, dass der Iran zurückschlägt – oder dass Israel zu weiteren Operationen gezwungen wird. Und viele arabische Staaten, die einst mit dem iranischen Regime sympathisierten, scheinen zunehmend die Geduld zu verlieren mit dessen aggressiver Außenpolitik, die sie selbst in Gefahr bringt.
Die Terrorgruppen hingegen – Huthi-Rebellen aus dem Jemen und die Hamas – verurteilen die israelische Aktion deutlich und sprechen Iran das „Recht zur Verteidigung und zur Weiterentwicklung seines Atomprogramms“ zu. Doch auch bei ihnen: keine konkrete Ankündigung einer militärischen Reaktion. Es wirkt, als warte die „Achse des Widerstands“ – Iran, Hisbollah, Hamas – ab. Noch.
Denn eines ist sicher: Israel hat mit dieser Operation ein Signal gesetzt. Es war ein Akt der Selbstverteidigung – gegen ein Regime, das offen zur Vernichtung des jüdischen Staates aufruft, Terrorgruppen mit Waffen und Geld versorgt und sein Atomprogramm nicht aus friedlicher Absicht vorantreibt. Die Welt weiß das – auch wenn sie es oft nicht ausspricht.
Was sich nun zeigt, ist das langsame Auseinanderbrechen der Allianz zwischen dem Iran und Teilen der arabischen Welt. Der Libanon, lange Geisel der Hisbollah, wagt einen zaghaften Schritt in Richtung Eigenständigkeit. Jordanien schützt seinen Himmel – nicht mit dem Iran, sondern vor den Folgen seiner Politik. Und die großen Staaten der Region geben sich diplomatisch – weil sie wissen, dass ein neuer Krieg im Nahen Osten nichts lösen würde, aber alles zerstören könnte.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Fars Media Corporation, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=142006607
Artikel veröffentlicht am: Samstag, 14. Juni 2025