„Wer das Recht infrage stellt, stellt den Staat infrage“ – Israels Präsident warnt vor wachsender Missachtung des Obersten Gerichtshofs
Inmitten einer sich zuspitzenden Verfassungskrise in Israel ruft Präsident Isaac Herzog zur uneingeschränkten Achtung von Gerichtsurteilen auf – und gerät prompt ins Kreuzfeuer der Rechten.

Isaac Herzog, Israels Präsident und einstige Konsensfigur, hat am Jerusalem Tag in deutlichen Worten zur Achtung der Gerichtsbarkeit aufgerufen. Die Reaktionen? Ein Abbild der tiefen Spaltung, die Israels Gesellschaft derzeit prägt. Während Herzog auf dem biblischen Fundament von Recht und Moral pocht, schießen rechte Politiker zurück – mit einer Härte, die vor wenigen Jahren noch undenkbar schien.
Herzogs Appell ist dabei keine juristische Belehrung, sondern eine existenzielle Mahnung. „Es darf niemand auch nur in Erwägung ziehen, den Anordnungen des Gerichts nicht zu folgen“, sagte er – nicht in einem Gerichtssaal, sondern bei einer öffentlichen Bibelrunde des Projekts 929. Gerade dort, im moralisch aufgeladenen Rahmen, unterstrich Herzog, dass israelische Souveränität und demokratische Stärke nicht durch Lautstärke oder Mehrheit allein entstehen, sondern durch das unerschütterliche Fundament des Rechtsstaats.
Doch genau dieses Fundament gerät ins Wanken. Die Attacken auf Herzog ließen nicht lange auf sich warten. Kommunikationsminister Shlomo Karhi spottete öffentlich, Herzog sei „kein Präsident des Volkes“. Seine Anmerkung „Schweigen ist Dreck – aber in deinem Fall wäre es besser gewesen“ ist nicht nur ein verbaler Ausrutscher, sondern Ausdruck einer politischen Kultur, in der der Präsident als legitimes Feindbild betrachtet wird, wenn er den Finger in die Wunde legt.
Justizminister Yariv Levin, einer der Hauptarchitekten der umstrittenen Justizreform, versuchte Herzog mit einer zynischen Umkehrung zu kontern: Die Warnung des Präsidenten solle sich lieber an Richter wie Yitzhak Amit oder Daphne Barak-Erez richten – also genau an jene, die Israels höchstes Gericht in Zeiten wie diesen noch mit Rückgrat und juristischem Gewissen verteidigen. Levin stellt die Realität auf den Kopf: Nicht diejenigen, die Recht sprechen, gefährden Israels Ordnung, sondern jene, die systematisch versuchen, Richter zu delegitimieren.
Was sich hier zeigt, ist kein bloßer Streit zwischen politischen Lagern, sondern ein gefährliches Abrutschen in eine autoritäre Logik: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Und wer das Recht schützt, unterminiert angeblich die Demokratie – ein Argument, das jede gesunde Ordnung ins Gegenteil verkehrt. Wenn sich Knesset-Abgeordnete wie Osher Shekalim erdreisten, die Legitimität des Präsidentenamts öffentlich infrage zu stellen, nur weil dessen Inhaber sich auf das Gesetz beruft, ist der Verfall institutioneller Autorität nicht mehr nur ein Schatten am Horizont, sondern Realität.
Dabei ist die Rolle des Präsidenten in Israel traditionell zurückhaltend. Herzog hat sich lange bemüht, als Vermittler zu fungieren – zwischen Protestbewegungen und Regierung, zwischen religiösen und säkularen Gruppen. Dass er nun so klar Position bezieht, ist ein Zeichen dafür, wie bedrohlich die Lage ist. Er spricht nicht als Politiker, sondern als Mahner in einer Zeit, in der grundlegende Werte des Staates Israel infrage stehen.
Denn was ist ein demokratischer Staat ohne Respekt vor unabhängigen Gerichten? Was bleibt, wenn politische Akteure offen über die Möglichkeit sprechen, Urteile zu ignorieren? Die Debatte, die derzeit in Israel geführt wird, ist nicht abstrakt. Es geht um nichts weniger als die Verteidigung der Republik – gegen eine Mehrheit, die glaubt, dass Macht Recht schafft.
Herzogs Worte, dass „es keine Souveränität ohne Moral und keine Moral ohne Recht“ gebe, sind nicht fromme Phrasen. Sie sind eine Erinnerung an den jüdisch-demokratischen Grundkonsens, auf dem Israel gegründet wurde – und der heute täglich angegriffen wird. Es ist kein Zufall, dass diese Angriffe nicht nur von politischen Extremisten kommen, sondern zunehmend auch aus dem Herzen der Regierung.
Wer das Oberste Gericht angreift, das Gesetz missachtet und den Präsidenten zum politischen Gegner erklärt, rüttelt an den Grundpfeilern des Staates. Herzog hat diesen Zusammenhang erkannt. Die Frage ist nur, ob genügend Menschen in Israel den Ernst der Lage ebenso begreifen – bevor das Vertrauen in die Institutionen völlig zerbricht.
Autor: Redaktion
Artikel veröffentlicht am: Montag, 26. Mai 2025