Netanyahus Alleingang gestoppt: Israels Oberstes Gericht zwingt Regierung zu fairer Auswahl beim Spitzenposten
Das Höchste Gericht setzt ein klares Zeichen gegen die Politisierung des Staatsapparats – und verwehrt dem Premier das alleinige Zugriffsrecht auf eine Schlüsselrolle im öffentlichen Dienst.

Ein Urteil, das für die Zukunft Israels von weitreichender Bedeutung sein könnte, fiel am Montag in Jerusalem: Das Oberste Gericht des Landes stoppte die Versuche von Premierminister Benjamin Netanjahu, den nächsten Chef der Zivilverwaltung nach eigenem Gutdünken zu bestimmen. Künftig muss diese Schlüsselposition – vergleichbar mit einem obersten Personalchef für den öffentlichen Dienst – in einem transparenten und wettbewerbsorientierten Verfahren besetzt werden. Es ist ein Richterspruch, der nicht nur eine Personalfrage betrifft, sondern auch die Grundfesten des demokratischen Selbstverständnisses Israels berührt.
Die Position des Civil Service Commissioner (CSC) ist eine der einflussreichsten innerhalb der israelischen Verwaltung. Die oder der Amtsinhaber*in entscheidet über Einstellungen und Entlassungen hochrangiger Beamter, genehmigt Ausnahmen vom Ausschreibungsverfahren und kontrolliert im Kern die Integrität und Professionalität des gesamten öffentlichen Dienstes. Kurz: Wer diesen Posten innehat, hat direkten Einfluss darauf, wie unabhängig der Staatsapparat von politischer Einflussnahme wirklich ist.
Gerade deshalb ist die Art und Weise der Ernennung dieser Figur von zentraler Bedeutung – und genau hier versuchte Netanjahu, sich einseitige Kontrolle zu sichern. Nachdem der bisherige Amtsinhaber, Prof. Daniel Hershkovitz, im Dezember ausgeschieden war, wollte der Premier selbst einen Nachfolger bestimmen, lediglich formell durch ein Gremium abgesegnet. Zwar überarbeitete Netanjahu seinen ursprünglichen Vorschlag unter Druck der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, doch das Verfahren blieb weiterhin intransparent und einseitig politisch gelenkt. Der zwischenzeitlich eingesetzte Interims-Kommissar Roi Kachlon wurde von der stellvertretenden Generalstaatsanwaltschaft als „völlig ungeeignet“ bezeichnet – dennoch blieb er drei Monate im Amt.
Mit dem Urteil vom Montag setzt das Höchste Gericht dieser Praxis nun ein Ende. Die Richter Yizhak Amit und Dafna Barak-Erez stellten in ihrer Mehrheitsmeinung klar: Die Regierung dürfe sich nicht länger hinter gesetzlichen Lücken verstecken. Auch wenn das Gesetz keinen Ausschreibungszwang vorschreibt, sei das Prinzip fairer und unpolitischer Auswahl für eine solch zentrale Funktion bindend. Der Premier dürfe sich nicht länger die Entscheidungsmechanismen nach Belieben zurechtschneidern. Wörtlich heißt es im Urteil, die Auswahl eines einzigen Kandidaten durch den Premier „führt im Regelfall nicht zur besten Besetzung der Stelle“.
Die Richter rügten damit deutlich eine Regierungspraxis, die Kritiker seit langem als Versuch werten, den öffentlichen Dienst zur verlängerten Werkbank der politischen Agenda zu machen. Dass gleichzeitig mehrere Schlüsselpositionen wie jene des Generalstaatsanwalts oder des Inlandsgeheimdienstchefs Shin Bet unter Druck stehen oder vakant sind, wirft zusätzlich ein grelles Licht auf die derzeitigen Machtverschiebungen im Staatsapparat.
Besonders brisant: Das Urteil kommt in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Spannungen über den Zustand der israelischen Demokratie. Das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Institutionen wird von Teilen der Bevölkerung zunehmend in Frage gestellt. Tausende protestieren regelmäßig gegen die Justizreformpläne der Regierung, die Kritiker als Angriff auf die Gewaltenteilung sehen. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Gerichts mehr als eine juristische Korrektur – sie ist ein symbolischer Schutzwall gegen die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien.
Netanjahus Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Minister aus seinem Lager, darunter Bildungsminister Yoav Kisch, forderten umgehend eine Gesetzesänderung, um das Urteil zu unterlaufen und die alleinige Entscheidungsgewalt der Regierung gesetzlich zu verankern. Ein durchsichtiges Manöver – und ein gefährlicher Angriff auf das Gleichgewicht zwischen Exekutive und Justiz.
Das Urteil offenbart eine tiefere Wahrheit: In Israel tobt ein stiller Kampf um die Seele des Staates. Es geht nicht nur um Personalfragen, sondern um die Frage, ob Professionalität, Integrität und Unabhängigkeit den öffentlichen Dienst weiter prägen – oder ob Parteibuch, Loyalität und politische Gefälligkeit die Oberhand gewinnen. Die Entscheidung des Obersten Gerichts stellt sich klar auf die Seite jener, die an den Staat als Institution glauben – nicht als Machtinstrument.
Wie es weitergeht, bleibt offen. Die Regierung muss nun ein faires, wettbewerbsorientiertes Verfahren für die Besetzung des CSC entwickeln. Ob sie dies mit ehrlicher Absicht tut oder erneut den juristischen Spielraum ausreizt, wird zeigen, wie ernst es ihr mit der demokratischen Selbstverpflichtung wirklich ist.
Autor: Redaktion
Artikel veröffentlicht am: Mittwoch, 14. Mai 2025