Die letzte Stimme des Warschauer Ghettos – Michael Smuss ist tot
Er war der letzte Überlebende des jüdischen Aufstands im Warschauer Ghetto. Michael Smuss kämpfte als junger Mann gegen die deutsche Besatzung, überlebte Lager, Hunger und den Todesmarsch – und blieb doch Zeit seines Lebens ein Kämpfer für das Erinnern. Jetzt ist er in Israel im Alter von 99 Jahren gestorben.

Mit Michael Smuss ist die letzte lebende Stimme eines der mutigsten und verzweifeltsten Kapitel jüdischer Geschichte verstummt. Der 99-Jährige, der als junger Mann im Warschauer Ghetto- Aufstand gegen die deutsche Vernichtungsmaschinerie kämpfte, starb am 21. Oktober in Israel.
Smuss wurde 1926 in der damaligen Freien Stadt Danzig geboren, wuchs in Łódź und später in Warschau auf. Als die Deutschen 1940 das Ghetto errichteten, war er 14 Jahre alt. Gemeinsam mit Hunderttausenden Juden wurde er in ein Viertel eingesperrt, das bald zu einem Synonym für Elend, Hunger und Tod werden sollte.
Was in der Erinnerung als heroischer Aufstand gilt, begann für ihn als Akt des nackten Überlebens. Smuss schloss sich einer kleinen Widerstandsgruppe um Mordechai Anielewicz an – junge Männer und Frauen, die in den Ruinen der Ghettohäuser Waffen sammelten, Benzin stahlen und Sprengstoffe aus Alltagsgegenständen herstellten. In einer Werkstatt, in der Helme der deutschen Soldaten repariert wurden, entwendete Smuss ein Lösungsmittel, das sich als Brennstoff für Molotowcocktails eignete.
„Wir füllten Flaschen und platzierten sie auf den Dächern nahe der Ghettomauer“, erinnerte er sich Jahrzehnte später in einem Interview. „Wir wollten bereit sein, wenn die Deutschen kommen würden.“
Am 19. April 1943, an Pessach, begann der Aufstand. Die deutsche Armee rückte mit schweren Waffen und Flammenwerfern ein, um das Ghetto endgültig zu vernichten. Smuss kämpfte mit den selbstgebauten Brandbomben gegen Panzer und Maschinengewehre – wissend, dass er kaum eine Chance hatte. Wochenlang hielt der Widerstand stand. Häuser brannten, Keller wurden zu Zufluchten, die Straßen zu Gräbern.
Als das Ghetto fiel, wurde Smuss gefasst. Sein Weg hätte nach Treblinka führen sollen, doch ein Zufall rettete ihm das Leben: Die Deutschen brauchten Zwangsarbeiter. Statt in der Gaskammer arbeitete er in Fabriken, überlebte mehrere Lager und am Ende einen Todesmarsch, der viele seiner Mitgefangenen das Leben kostete.
Nach dem Krieg wanderte Smuss zunächst in die USA aus, gründete dort eine Familie und fand eine Sprache für das Unsagbare – in der Kunst. Seine Bilder, oft in düsteren Farben und gebrochenen Formen, erzählten von Schmerz und Überleben, von Erinnerung und Erneuerung. Später zog er nach Israel, wo er bis zu seinem Tod lebte.
Für viele in Israel war Smuss ein lebendes Symbol – ein Mann, der Zeugnis ablegte, solange er sprechen konnte. Seine Erinnerungen bewahrten die Menschlichkeit jener, die die Nazis zu entmenschlichen versuchten. „Die Kunst war für ihn ein zweiter Atem nach der Dunkelheit“, sagte ein Angehöriger.
Mit seinem Tod endet ein Kapitel, das niemals abgeschlossen werden darf. Der Aufstand im Warschauer Ghetto war keine militärische Rebellion – er war der Aufschrei einer Generation, die sich nicht widerstandslos in die Gaskammern führen ließ.
Michael Smuss gehörte zu den letzten, die diesen Aufschrei selbst erlebt hatten. Er verkörperte, was Erinnerung bedeutet: nicht nur zu erzählen, was war, sondern zu mahnen, was nie wieder geschehen darf.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Athon - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=166710393
Artikel veröffentlicht am: Samstag, 25. Oktober 2025