Wenn Opfer zu Tätern gemacht werden sollen – Lanz-Debatte offenbart deutsche Obsession
Bei „Markus Lanz“ sprach die israelische Soziologin Melody Sucharewicz über das Trauma israelischer Kinder nach dem 7. Oktober. Statt Empathie kam der Vorwurf: Israel solle Schuld tragen für tote Kinder in Gaza. Ihre Antwort war ein klarer Widerspruch – moralisch wie völkerrechtlich.

Es gibt Momente im deutschen Fernsehen, die mehr über das gesellschaftliche Klima aussagen als über die eingeladenen Gäste. Einer dieser Momente spielte sich bei „Markus Lanz“ ab, als die israelische Soziologin und Politikberaterin Melody Sucharewicz auftrat. Sie lebt in Tel Aviv, sie kennt die Angst, die Unsicherheit, den Ausnahmezustand. Sie sprach über Kinder in Israel, über deren Albträume, die seit dem 7. Oktober 2023 nicht enden. Über Kinder, die Sirenen hören und wissen: Der nächste Raketenalarm könnte ihr Zuhause treffen. Kinder, die gelernt haben, in Sekunden in Schutzräume zu rennen. Kinder, die in ihrem jungen Leben schon mehr Trauma erlebt haben als viele Erwachsene je erfahren werden.
Sucharewicz sagte den Satz, der eigentlich jede Diskussion beenden müsste:
„Es gibt kein Kind auf der Welt, das so eine Situation erleben darf. Und jedem Kind, dem geholfen werden kann, muss geholfen werden.“
Ein universeller, menschlicher Satz. Er sprach von Mitgefühl und Solidarität über Grenzen hinweg. Doch im Studio begann genau an dieser Stelle ein Mechanismus, den jüdische Gäste in deutschen Medien allzu gut kennen: Anstatt Empathie folgte die Verschiebung der Schuld.
Die Fragen, die alles verdrehten
Daniel Gerlach, Journalist und Chefredakteur des Nahost-Magazins Zenith, reagierte nicht mit Mitgefühl, sondern mit einem Vorwurf in Frageform. Ob nicht die israelische Regierung für das Leid der Kinder in Gaza verantwortlich sei? Ob nicht irgendwann der Moment der Reflexion komme, in dem Israel einräumen müsse, dass es selbst für das Leid verantwortlich sei?
Sucharewicz’ Reaktion war eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Wut. Sie hatte gerade über das Trauma israelischer Kinder gesprochen, sie war auf die Frage von Markus Lanz eingegangen – und plötzlich wurde sie in die Rolle gedrängt, Israel als Täter zu bekennen. Sie sagte:
„Um Gottes willen, Herr Gerlach! Sie werfen mir gerade vor, dass ich die Frage von Herrn Lanz beantworte, der mich fragt, wie Kinder in Israel mit dem Trauma des 7. Oktobers umgehen. Wie voreingenommen können Sie sein, um bei dieser Obsession des Bashings zu bleiben? Sie geben sich doch nicht zufrieden, bis Sie nicht auf dem Tablett serviert bekommen, dass Israel der Aggressor ist!“
Das war keine rhetorische Pose, sondern ein Befreiungsschlag. Denn hier offenbarte sich die ganze Schieflage des deutschen Diskurses: Israel, das Opfer eines beispiellosen Massakers wurde, soll im gleichen Atemzug zum Täter erklärt werden. Die Hamas, die Täterin, die Mörderin, die Terrororganisation, die die eigenen Zivilisten als Schutzschilde missbraucht – sie verschwindet aus der Verantwortung.
Der zynische Tiefpunkt
Der vermeintliche Gipfel der Unverschämtheit aber kam nicht von Gerlach, sondern vom Gastgeber selbst. Markus Lanz stellte die Frage nach der „Verhältnismäßigkeit“ und formulierte sie so:
„Wie viele Tote sind dann angemessen? Um es mal ganz zynisch zu formulieren.“
Ein Satz, der jede humanitäre Debatte zur Farce macht. Denn wer so fragt, fordert von einem Menschen, ein Urteil über menschliche Verluste zu quantifizieren – als handle es sich um eine abstrakte politische Rechenaufgabe. Wer so fragt, entmenschlicht die Menschen, über die gesprochen wird.
Sucharewicz’ Antwort kam aus tiefster Betroffenheit: „Es gibt doch um Gottes willen nicht eine Antwort auf so eine Frage! Für mich ist kein Einziger!“
Hier sprach keine Sprecherin der israelischen Regierung, keine PR-Frau, sondern eine Mutter, eine Frau, die in Tel Aviv ihre Kinder zur Schule schickt und nie sicher sein kann, ob sie heil zurückkommen. Lanz’ Frage zeigte, wie sehr in deutschen Talkshows das Maß verloren gegangen ist – und wie wenig Raum für Empathie bleibt, wenn es um Israel geht.
Völkerrechtlich eindeutig
Doch Sucharewicz blieb nicht bei Emotionen stehen. Sie machte klar: Sie trauert um jedes palästinensische Kind. Aber die Verantwortung dafür trägt allein die Hamas.
Und sie hat das Völkerrecht auf ihrer Seite. Prof. Matthias Herdegen, einer der renommiertesten deutschen Völkerrechtler, erklärte unmissverständlich: Der Angriff der Hamas am 7. Oktober war ein bewaffneter Angriff. Damit greift Artikel 51 der UN-Charta – das Recht auf Selbstverteidigung. Dieses Recht gilt ausdrücklich auch bei Angriffen nichtstaatlicher Akteure. Israel darf sich also verteidigen – nicht halbherzig, nicht symbolisch, sondern so lange, bis die Bedrohung verlässlich neutralisiert ist.
Herdegen sagte: „Die Hamas ist die Urheberin dieses Krieges. Sie macht Opfer unter der eigenen Bevölkerung sogar bewusst zum Teil ihrer Strategie.“ Damit benennt er, was viele in deutschen Debatten verdrängen: Zivile Opfer in Gaza sind nicht einfach „Kollateralschäden“. Sie sind einkalkuliert, ja provoziert durch eine Terrororganisation, die ihre Macht aus Bildern von Toten zieht.
Solange die Hamas Geiseln hält, solange sie erklärt, dass sie den Krieg fortsetzen will, solange sie Raketen baut und Tunnel unter Schulen und Krankenhäusern anlegt, besteht Israels Selbstverteidigungsrecht. Alles andere wäre Kapitulation vor Terror.
Die Doppelmoral in Deutschland
Und hier zeigt sich eine eklatante Doppelmoral. In Deutschland gilt seit Jahrzehnten der Grundsatz: Mit Terroristen wird nicht verhandelt. Weder mit der RAF noch mit islamistischen Gruppen. Dieser Grundsatz wird als unantastbar angesehen – und er gilt zu Recht, weil jede Konzession Terror belohnt.
Doch wenn es um Israel geht, wird plötzlich ein anderes Maß angelegt. Plötzlich heißt es, Israel müsse verhandeln, Israel müsse nachgeben, Israel müsse Verständnis zeigen für eine Organisation, die Massaker anrichtet und Völkermord offen als Ziel ausspricht. Für Israel soll gelten, was man im eigenen Land kategorisch ausschließt.
Diese Doppelmoral ist es, die die Hamas stärkt. Denn sie weiß, wie sie Bilder in die Welt streuen muss, um Druck auf Israel zu erzeugen. Sie weiß, dass Talkshows in Deutschland bereit sind, die Schuldfrage umzudrehen. Sie weiß, dass ihre Strategie funktioniert, weil viele westliche Medien die Täter-Opfer-Umkehr reproduzieren.
Täter-Opfer-Umkehr als Strategie
Sucharewicz nannte das offen: „Sie geben sich doch nicht zufrieden, bis Sie Israel als Aggressor dargestellt haben.“ Damit beschrieb sie exakt, wie die Hamas arbeitet: Indem sie das Narrativ beherrscht. Tote Kinder sind für sie kein Versagen, sondern Teil der Waffe. Bilder ersetzen Raketen. Propaganda ersetzt Diplomatie.
Wer in Deutschland diese Täter-Opfer-Umkehr übernimmt, macht sich zum Handlanger. Ob aus Unwissen, aus Ideologie oder aus Zynismus – das Ergebnis ist dasselbe: Israel wird delegitimiert, und die Hamas gewinnt.
Ein Spiegel der Gesellschaft
Der Abend bei „Markus Lanz“ war deshalb mehr als eine Fernsehdiskussion. Er war ein Spiegel für den deutschen Diskurs. Ein Spiegel dafür, wie schnell Empathie für Juden erlischt, wenn die Debatte auf Israel gelenkt wird. Ein Spiegel dafür, wie tief das Bedürfnis sitzt, Israel zur Verantwortung zu ziehen – selbst dann, wenn das Völkerrecht eindeutig ist, selbst dann, wenn Terror der Ursprung ist, selbst dann, wenn es um Kinder geht.
Melody Sucharewicz hat an diesem Abend etwas getan, was dringend nötig war: Sie hat widersprochen. Sie hat sich nicht in die Ecke drängen lassen, sie hat nicht die Worte geliefert, die man von ihr hören wollte. Sie hat klargemacht: Israel verteidigt seine Kinder – die Hamas opfert ihre eigenen.
Die Szene bei Lanz hat gezeigt, wie brüchig die deutsche Solidarität mit Israel ist, wenn sie auf den Prüfstand kommt. Empathie weicht schnell Vorwürfen. Täter und Opfer werden vertauscht. Und Zynismus ersetzt Menschlichkeit.
Doch sie hat auch gezeigt, dass Widerspruch möglich ist. Dass es Stimmen gibt, die klar sagen: Nein, Israel ist nicht der Aggressor. Nein, Israel ist nicht verantwortlich für den Krieg, den die Hamas begonnen hat. Und nein, es ist nicht legitim, von einer israelischen Mutter eine Rechtfertigung für tote Kinder in Gaza zu verlangen, während ihre eigenen Kinder in Bombenkellern schlafen.
Melody Sucharewicz’ Auftritt war deshalb mehr als ein Streit in einer Talkshow. Er war ein Weckruf. Und er bleibt als Erinnerung: Wenn Opfer zu Tätern gemacht werden sollen, braucht es den Mut, klar zu widersprechen.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: Screenshot ZDF
Artikel veröffentlicht am: Mittwoch, 1. Oktober 2025