Symbolpolitik oder echte Hilfe? Hannovers Initiative für Kinder aus Gaza und Israel wirft Fragen auf


20 Kinder, zwei Kriegsregionen – doch wer heilt hier wen? Hannovers Plan zur Aufnahme traumatisierter Minderjähriger zeigt gute Absichten, aber auch politische Fallstricke.

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Was nach einem Akt der Menschlichkeit klingt, ist zugleich eine politische Gratwanderung: Die Stadt Hannover kündigt an, bis zu 20 traumatisierte Kinder aus dem Gazastreifen und Israel aufnehmen zu wollen. Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) präsentierte das Vorhaben mit Pathos und warmen Worten – und in Anwesenheit sowohl jüdischer als auch palästinensischer Vertreter. Der Versuch, ein „Zeichen der Humanität“ zu setzen, könnte jedoch mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben.

Denn hinter dieser lokalpolitischen Initiative steckt ein hochgradig politischer Kontext: Es geht um Kinder, die mitten aus einem andauernden Krieg gerissen wurden – einem Krieg, in dem Israel um das Überleben seiner Geiseln kämpft, während die Hamas ihre eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde instrumentalisiert. Wie lassen sich da Opfer trennen? Wer entscheidet, welches Kind besonders schutzbedürftig ist? Und kann eine deutsche Stadt überhaupt eine neutrale Position zwischen Täter und Opfer behaupten?

„Signal der Humanität“ – aber an wen?

Onay sagt, man wolle helfen – jenen, die „ärztliche, psychologische oder soziale Unterstützung“ brauchen. Klingt gut. Doch diese Kinder müssen zuerst aus einer der am stärksten militarisierten Regionen der Welt ausgeflogen werden. Das setzt enge Koordination mit israelischen Behörden voraus – oder mit der palästinensischen Seite, also im Klartext: der Hamas, die in Gaza jeden Ausreisewunsch kontrolliert.

Wer also ermöglicht die Auswahl? Wer überprüft medizinischen Bedarf, psychologische Eignung, Sicherheitsrisiken? Und wie neutral ist ein Verfahren, das davon abhängt, ob die Hamas ein Kind durchlässt oder zurückhält?

Gute Absichten, fragile Koalition

Bemerkenswert ist, dass die Initiative von Vertretern beider Bevölkerungsgruppen getragen wird: Michael Fürst vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden, Yazid Shammout von der Palästinensischen Gemeinde Hannover sowie Antisemitismusbeauftragter Gerhard Wegner. Alle betonen das Gemeinsame, das Menschliche. Fürst verweist sogar auf frühere Aufnahmeprogramme für israelische Kinder, Shammout hält sich betont diplomatisch.

Und doch bleibt ein Dilemma: Jeder Schritt, der Gaza-Kinder nach Deutschland bringt, wird von einigen als Parteinahme gegen Israel gewertet werden – und jeder, der israelische Kinder aufnimmt, von anderen als politischer Affront. Was als heilende Geste gemeint ist, kann so schnell zur Projektionsfläche für politische Lager werden.

Symbolischer Schutz oder reale Sicherheit?

Hannover will ein „Schutzangebot“ machen – doch was bedeutet dieser Schutz konkret? 20 Plätze in Einrichtungen zur Inobhutnahme sind verfügbar. Weitere könnten über Gast- oder Pflegefamilien bereitgestellt werden. Die Vorstellung, dass schwer traumatisierte Kinder, die möglicherweise Angehörige verloren, Gewalt gesehen und monate- oder jahrelang in Kriegsgebieten gelebt haben, in niedersächsischen Pflegefamilien zur Ruhe kommen sollen, wirkt gleichzeitig rührend und unrealistisch.

Wie soll ein solches Kind – sei es israelisch oder palästinensisch – mit der alltäglichen Wirklichkeit in Hannover zurechtkommen, in einer Sprache, die es nicht spricht, in einer Umgebung, die das Trauma nicht teilt, unter Betreuungspersonal, das meist weder Hebräisch noch Arabisch spricht?

Und was passiert, wenn antisemitische oder antiisraelische Vorfälle die Kinder erneut retraumatisieren – in jenem Deutschland, in dem laut Gerhard Wegner derzeit „Ausrottungsfantasien und Nazi-Vergleiche“ zunehmen?

Gefährliche Unschärfen in der politischen Kommunikation

Die Stadt nennt weder Kriterien für die Auswahl der Kinder, noch erklärt sie, wie sie sicherstellen will, dass diese nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Das lässt Interpretationsspielräume – und genau diese sind in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 brandgefährlich. Wer heute in Deutschland „Kind aus Gaza“ sagt, spricht nicht selten indirekt über Schuldfragen, Verhältnismäßigkeit und Narrative. Jede öffentliche Aktion kann in dieser aufgeladenen Atmosphäre als politische Stellungnahme gelesen werden.

Gerade deshalb wirkt es beinahe naiv, wenn Onay auf Bundesebene lediglich um „rechtliche Rahmenbedingungen“ bittet, als wäre das eine bürokratische Formalie. In Wirklichkeit ist jede einzelne Auswahlentscheidung, jede Einreise, jedes ärztliche Gutachten Teil eines politischen Gesamtkonflikts.

Was bleibt: ein Zeichen – mit begrenzter Wirkung

Der Wille, Kindern zu helfen, verdient Respekt. Doch wie viele Kinder sollen 20 Plätze retten? Wie lange können sie bleiben? Und wer sichert ihre Rückkehr oder Integration? Hannovers Aktion wird – wenn überhaupt – Einzelschicksale lindern können. Doch sie wird den Krieg nicht aufhalten, nicht Hamas stoppen, keine Geiseln befreien, keine Raketen verhindern.

Gerade weil sie so klein ist, wird diese Initiative zum Symbol. Doch Symbole sind zweischneidig. Wenn sie Hoffnung wecken, wo keine Hilfe folgt, richten sie mehr Schaden an als Schweigen.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Foto: Axel Hindemith, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=83846631

Artikel veröffentlicht am: Samstag, 2. August 2025

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